Stuttgart 21 scheitert in fünf Problemfeldern

Einschätzung  zum Planungsstand des Großprojekts am 28. 5. 2011.

1. Für die Bahnanlagen am Flughafen (PFA 1.3) hat die DB seit 2002 mehrfach Pläne beim EBA eingereicht und ist damit gescheitert. Sie umfassen die Verbindung zur Neubaustrecke  Wendlingen-Ulm, den Fernbahnhof und die Nutzung der S-Bahn-Anlagen auch für andere Züge auf der Gäubahn. Das Planfeststellungsverfahren ist daher noch nicht eröffnet; u.a. bezweifelt das EBA die Leistungsfähigkeit des vorhandenen Flughafen-Bahnhofs nach dem Umbau auf eingleisigen Betrieb. Es erscheint fraglich, ob und wann diese Anlagen genehmigt werden: Ohne diese Anlagen kann Stuttgart 21 nicht betrieben werden.
2. Die von der DB vorgesehenen Kostenreduktionen von ca. 900 Mio.Euro, mit denen die Projektkosten auf 4088 Mio.Euro reduziert werden sollen, erscheinen in wesentlichen Anteilen nicht realisierbar. Zur Reduzierung der Tunnelstärken erschienen die erforderlichen Genehmigungen fraglich; die Kostenreduktionen durch verringerte Stahlpreise erscheinen unrealistisch. Auf jeden Fall muss erwartet werden, dass nur ein Teil der vorgesehenen Einsparungen realisiert werden kann: Der Wert von 4,5 Mrd. Euro, der als Obergrenze für das Projekt von den Partnern festgelegt ist, wird wahrscheinlich überschritten.
3. Die DB hat 121 Risikofelder ermittelt (die auch einen Teil der vorgesehenen Einsparungen umfassen), die in fast allen Fällen zu Kostensteigerungen führen können, jedoch nur eine einzige Chance für Kostensenkungen. Bei 47 Risiken und der einzigen Chance stehen im Saldo Kostensteigerungen von 1.264 Mio.Euro in den Listen. Für die weiteren 73 Risiken gibt es keine Kostenangaben. Unter Berücksichtigung dieser Risiken und unter Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeiten wird mit Sicherheit die Obergrenze von 4,5 Mrd. Euro bei weitem überschritten werden, bei der das Projekt beendet werden soll.
4. Der geforderte Stresstest ist nicht zu bestehen, wenn sinnvolle Anschlüsse und eine gute Betriebsqualität erreicht werden soll. In einer Analyse der größten Bahnhöfe Deutschlands (veröffentlicht in Eisenbahn-Revue International, Heft 6/2011) kommt Dr.
Christoph Engelhardt (Physiker, Analyst) zu dem Schluss, dass die großen deutschen Durchgangsbahnhöfe (ohne S-Bahn) im Mittel 2,7 Züge je Gleis in der Spitzenstunde schaffen, der Spitzenwert beträgt 4,2 Züge. Dabei ist die Betriebsqualität im Vergleich zum jetzigen Hbf Stuttgart erheblich schlechter. Köln Hbf erreicht danach mit 4,1 Zügen den zweitbesten Wert (de facto sind es am 30.5.2011  4,5) — hier werden täglich mehr als zwei Dutzend ICE-Züge am Hbf vorbei geleitet und halten stattdessen in Köln-Deutz/Messe. Die für S21 geforderten 49 Züge ergeben eine Belastung je Gleis von 6,1 Zügen: Dieser Wert wird bislang bei keinem großen Bahnhof im Bereich der DB erreicht: er ist offensichtlich unmöglich!
5. Vor der Bebauung frei werdender Bahnanlagen müssen diese stillgelegt und entwidmet werden. Das Allgemeine Eisenbahngesetz schreibt vor, dass dies nur dann genehmigt werden darf, wenn kein anderes Unternehmen die Bahnanlagen übernehmen will. Die
Absicht der DB, die neuen Anlagen als „Verlegung“ der bisherigen zu deklarieren, um das Stilllegungsverfahren zu vermeiden, wird voraussichtlich nicht gelingen: Der Tiefbahnhof ist nicht für alle Züge nutzbar, hat eine nur sehr beschränkte Kapazität und ist von der Gäubahn nur unter Einschränkungen oder gar nicht erreichbar. Das „Netzwerk Privatbahnen“ hat deshalb eine Feststellungsklage angekündigt, mit der per Gerichtsbeschluss sichergestellt werden soll, dass Stuttgart Hbf wie bisher erreichbar bleibt. Ist diese erfolgreich, müssen Teile des Kopfbahnhof mit den entsprechenden Zufahrten erhalten bleiben: Diese Bahnanlagen stehen dann für Bebauungen nicht zur Verfügung – die entsprechenden, von der Stadt Stuttgart erhaltene Grundstückserlöse müssen nebst Zinsen von der DB zurückgezahlt werden und fehlen bei der Finanzierung des Großprojekts.

Autor: Karl-Dieter Bodack (kd.bodack(ät)gmx.de)
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