Die Bahn pokert um Kosten und Ausstieg

Die Bahn hat keinen Anspruch auf Schadensersatz! Das Poker um
die Kosten von Baustopp und Ausstieg bei Stuttgart 21

Ein Beitrag von Eberhard Frasch.

Zum Inhalt: Im Mittelpunkt steht der Finanzierungsvertrag zu Stuttgart
21 und meine Kritik daran. Ich finde, dass die Fragwürdigkeit dieser
sogenannten Rechtsgrundlage viel zu wenig beachtet wird.

„Stuttgart 21: Die Bahn hat keinen Anspruch auf Schadensersatz!“
Das Ganze erinnert schon an das Hase-Igel-Spiel: Igel 1 (Bahnvorstand Kefer „verhandle mit dem Eigentümer“) hetzt den Hasen (Kretschmann auf der Suche nach Konsens und Kompromiss) zu Igel 2 (Minister Ramsauer), dieser („bin weder Polier noch Bauherr“) den Hasen zurück zu Igel 1 … Der Konflikt um das Projekt Stuttgart 21 konnte durch die Schlichtung mit Heiner Geißler nicht nachhaltig gelöst werden. In diesem Verfahren wurden zwar Kostenfragen thematisiert, nicht jedoch die Rechtsgrundlagen der staatlichen Zuschüsse. Auch heute beruft sich die Deutsche Bahn auf geltende Verträge. Meine These: Die Bahn hat keinen Anspruch auf Schadensersatz!
Grundlage der Kostenregelung von Stuttgart 21 ist der Finanzierungsvertrag zwischen den Bahnunternehmen, dem Land Baden-Württemberg, Stadt und Region Stuttgart sowie der Flughafen-GmbH, abgeschlossen am 2.4.2009. Dieser Vertrag ist ein Monstrum, das sich seit zwei Jahren im Stuttgarter Untergrund, also im Bereich der drohenden Baugrube für den Tiefbahnhof und der gefährdeten Mineralquellen bewegt – weitgehend unsichtbar und doch außerordentlich mächtig. Wie komme ich zu dieser Einschätzung? Nun; er steckt voller Widersprüche und Unklarheiten.

Versteckspiel mit der Öffentlichkeit
Die Vertragspartner und Befürworter haben den Finanzierungsvertrag vor der Öffentlichkeit versteckt. Frau Gönner hat ihn erst Mitte März 2011 komplett mit allen nicht-geheimen Anlagen auf der Website ihres Ministeriums veröffentlicht – zwei Jahre nach Vertragsabschluss. Als ich sie zuvor am 18.11.2010 persönlich nach den Gründen für dieses Versteckspiel gefragt hatte, antwortete sie mit einer Gegenfrage „Würden Sie, wenn Sie eine Immobilie erworben haben, den Kaufvertrag ins Internet stellen?“ Festzustellen ist, dass heute offenbar nicht mehr gilt, was zwei Jahre lang richtig und notwendig gewesen sein soll. Der Vertrag ist zwar als Landtagsdrucksache veröffentlicht, jedoch ohne jegliche Anlage. Kein Vertragspartner hatte und hat bis heute – außer der Landesregierung – den Vertrag, publiziert – auch nicht in dieser Kurzversion. Alle Anfragen landeten beim sogenannten Kommunikationsbüro – aber auch dort Fehlanzeige.
Der Vertrag ist nicht wirklich demokratisch legitimiert. Er beruht auf einer kaum nachvollziehbaren Verschachtelung von Zuständigkeiten und Ermächtigungen. Das Beispiel Regionalverband Stuttgart: 2007 ermächtigte die Regionalversammlung erst den Regionaldirektor zum Abschluss einer Vereinbarung zum Bau und kurz darauf das Land, im Namen des Regionalverbands einen Vertrag mit den Bahnunternehmen abzuschließen. Abgeschlossen wurde er erst 2009.
Nach § 15 des Vertrags gilt „Der Vertrag steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch die zuständigen Beschluss- und Aufsichtsgremien der Vertragsparteien.“ Mit einer Ausnahme wurde der Vertrag keinem parlamentarischen Gremium zur Abstimmung vorgelegt. Es wurde – für mich äußerst fragwürdig – stets auf Vorab-Ermächtigungen verwiesen.

Rechtliche Fehler und Unstimmigkeiten
Der Vertrag enthält rechtliche Fehler und Unstimmigkeiten. Der Stuttgarter Landtag segnete – das ist die angesprochene Ausnahme – den Vertrag am 13.5.2009 zwar in einer Entschließung ab. Doch es ergeben sich daraus zahlreiche Fragen:
Warum lag der Vertrag nicht komplett zur Abstimmung vor? Nach § 16 sind die Vertragsanlagen „Bestandteil des Vertrags“. Die Landtagsdrucksache enthält von den 17 nicht-vertraulichen Anlagen keine einzige. Auf Nachfrage wurde von Seiten der Mehrheitsfraktionen (inklusive SPD) unisono betont, dass der Vertrag eigentlich nicht zwingend zustimmungspflichtig sei und dass die Abgeordneten Einsicht nehmen konnten. Außerdem handle es sich um einen Vertrag mit einem Privatunternehmen, da sei es üblich, nicht alles offenzulegen. Meine Nachfragen mit Hinweis auf den Paragrafen 16, auf die Gemeinwohlverpflichtung der Bahn sowie auf den Charakter eines öffentlich-rechtlichen Vertrags (s. Gutachten Hermes /Wieland) wurden nicht beantwortet. Die Widersprüche, die in diesen Argumenten stecken, wurden eindrucksvoll durch den schon angesprochenen Zick-Zack-Kurs von Gönner bei der Nicht-/Veröffentlichung bestätigt.

Ist der Vertrag verfassungsgemäß?
Der Berliner Professor für Verfassungsrecht Hans Meyer kam im November 2010 – ausgehend vom Verbot der Mischfinanzierung einer Bundesaufgabe – zu dem Ergebnis der „Nichtigkeit des Finanzierungsvertrages“ sowie des „Verbots weiterer Zahlungen“. Warum die baden-württembergischen Grünen nun das von ihnen selbst in Auftrag gegebene Gutachten nicht ernstnehmen und auf eine Normenkontrollklage beim Staatsgerichtshof verzichten, ist mir ein Rätsel. Sie könnten auch die Zahlungen für das Projekt einstellen und es auf einen Rechtsstreit bis zum Bundesverfassungsgericht ankommen lassen, wenn sie der Koalitionspartner ließe.
Mit dem Lenkungskreis haben die Vertragspartner ein unkontrollierbares Geheimorgan mit weitestgehenden Befugnissen geschaffen. Der Lenkungskreis tagte u.a. am 10.12.2009. Dieses Gremium war durch den Finanzierungsvertrag installiert worden, die Geschäftsordnung und die Regelungen zur Geheimhaltung finden sich in den im März publik gewordenen Anlagen. Er gab in dieser geheimen Sitzung „grünes Licht für den roten Punkt“, also freie Bahn für den Abriss des Bahnhof-Nordflügels und die Bäumefällung. Unwiderruflich, so Oettinger. Die Brisanz: Der Vorgang war von außen nicht überprüfbar, auch nicht von Abgeordneten, und die Bahn bestimmte als Nutznießer der Entscheidung das Verfahren mit ihrer mysteriösen Kostenangabe (4,1 Milliarden Euro).

Die Geschäftsgrundlage entfällt
Alle Indizien deuten darauf hin, dass die Bahn mehrfach und nicht nur fahrlässig zu niedrige Kostenangaben in diesen Vertrag eingebracht hat, auf denen die Zuschüsse der anderen Partner fußen. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, alle Publikationen, die sich auf Insiderinformationen stützen, wiederzugeben. Die wichtigsten Aussagen fanden sich in der Stuttgarter Zeitung vom 8. und 15.12.2010 unter den Überschriften „Bahn behielt Wissen für sich.“ und „Verstoß gegen Treu und Glauben?“ sowie im Stern vom 5. 4. 2011 „Ein Bahnhof voller Risiken.“
Noch besteht Hoffnung: Der Stresstest könnte im Juli zeigen, dass S21 nur dann gegenüber K20 und K21leistungsfähiger wäre, wenn der Kostenrahmen von 4,5 Milliarden gesprengt würde. Und: Der neuen Landesregierung könnte es gelingen, die möglicherweise vorsätzlichen Falschangaben der Bahn offenzulegen. Hat die Bahn Anspruch auf Schadensersatz? Nicht auf der Basis mutmaßlich gefälschter Kostenangaben und nicht auf der Basis eines Finanzierungsvertrags, der auf Krücken daherkommt: rechtsfehlerhaft, verfassungswidrig, so gut wie nicht legitimiert – ein Produkt schwäbischer Geheimdiplomatie.

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