{"id":2456,"date":"2011-02-22T04:46:36","date_gmt":"2011-02-22T03:46:36","guid":{"rendered":"http:\/\/barrierefrei.gegen-stuttgart-21.de\/?p=2456"},"modified":"2011-02-22T23:15:15","modified_gmt":"2011-02-22T22:15:15","slug":"tuebingens-ob-ueber-mappus-landeshalbstarker-statt-landesvater","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/barrierefrei.gegen-stuttgart-21.de\/2011\/02\/22\/tuebingens-ob-ueber-mappus-landeshalbstarker-statt-landesvater\/","title":{"rendered":"T\u00fcbingens OB \u00fcber Mappus: Landeshalbstarker statt Landesvater"},"content":{"rendered":"

Anstand und Seriosit\u00e4t sind seine Sache nicht: Warum Stefan Mappus f\u00fcr das Amt des baden-w\u00fcrttembergischen Ministerpr\u00e4sidenten nicht geeignet ist.<\/strong> (taz, 21.02.2011, von Boris Palmer)<\/span><\/p>\n

BERLIN taz | Baden-W\u00fcrttembergs Ministerpr\u00e4sident Stefan Mappus hat in seinem ersten Amtsjahr ein Bild abgegeben, das von einem auff\u00e4lligen Widerspruch gepr\u00e4gt ist: Die Republik kennt vor allem den unersch\u00fctterlichen Macher, der Projekte mit \u00e4u\u00dferster H\u00e4rte durchsetzt und keinem Streit aus dem Weg geht. Im Land selbst sieht man h\u00e4ufig einen schwankenden Steuermann, der den Kurs hektisch \u00e4ndert, wichtige Entscheidungen in k\u00fcrzester Zeit komplett umwirft und vor vermutetem Widerstand \u00e4ngstlich zur\u00fcckweicht.\u00a0<\/a><\/p>\n

Mappus, der Macher, rettete ganz alleine die Energieversorgung Baden-W\u00fcrttembergs vor dem Zugriff ausl\u00e4ndischer Investoren und schickte die Polizei mit Wasserwerfern in die Schlacht gegen die B\u00fcrgerschaft. Mappus, der Wankelm\u00fctige, wollte den Beamten Mehrarbeit zur Haushaltssanierung abverlangen, gab das wegen Protesten rasch auf und spendierte den Staatsdienern dann eine Gehaltssteigerung von 2 Prozent, ehe die Tarifverhandlungen \u00fcberhaupt begonnen hatten.<\/p>\n

Diese Widerspr\u00fcche sind nur zu verstehen, wenn man Stefan Mappus versteht. Schon als Fraktionsvorsitzender der Landtags-CDU hat sich Mappus das Image eines Konservativen zugelegt. Doch sind von Mappus weder intellektuelle Abhandlungen \u00fcber den Konservativismus bekannt, noch kann man ein wertgebundenes Handeln bei ihm feststellen. Er ist weder ein Wirtschaftsliberaler, wie sein Vorg\u00e4nger G\u00fcnther Oettinger, noch ein Wertkonservativer, wie sein Vorvorg\u00e4nger Erwin Teufel. F\u00fcr Mappus z\u00e4hlt allein die Macht.<\/p>\n

Das zeigte sich schon im Landtagswahlkampf 2001, als er wenig zimperlich verk\u00fcndete, er werde das Problem seiner Gegenkandidatin Ute Vogt „final l\u00f6sen“. Mappus gewann den Wahlkreis und gro\u00dfe Anerkennung in der CDU. Er hat damals verinnerlicht, wie man als Haudrauf erfolgreich ist. Der Sieg \u00fcber Ute Vogt und der schnelle Aufstieg zum Fraktionsvorsitzenden waren f\u00fcr ihn der Beweis, dass man es so machen muss, jedenfalls darf.<\/p>\n

So kam er mit Machtinstinkt, aber ohne ein Projekt \u00fcber die CDU-Erbfolgeregelung ins Amt des Ministerpr\u00e4sidenten. Nach dem holprigen Start sah Mappus im Sommer 2010 die Chance, sich in den konservativen Landstrichen als H\u00fcter von Recht und Ordnung zu profilieren. Stuttgart 21 und die D\u00e4monisierung der Gegner sollte die Kernw\u00e4hlerschaft mobilisieren. Deshalb pr\u00e4gte Mappus den Begriff von den „Berufsdemonstranten am Bahnhof“ und rief der jubelnden JU zu, er nehme den „Fehdehandschuh“ auf, den man ihm hingeworfen habe. Mappus lie\u00df Ger\u00fcchte \u00fcber zunehmende Gewaltbereitschaft der Demonstranten am Bahnhof streuen und beschwor die Gefahr eines Regierungssturzes. Stuttgart 21 und die Landtagswahl wollte er wieder „final l\u00f6sen.“<\/p>\n

Wir wissen heute durch einen Untersuchungsausschuss, dass Mappus in der Phase der verbalen Aufr\u00fcstung die Polizeif\u00fchrung h\u00e4ufig aufsuchte und zu verstehen gab, dass er ein hartes Vorgehen erwarte. Mappus kannte alle Schwierigkeiten bei der Vorbereitung des Einsatzes im Schlossgarten, und er wollte unmittelbar danach in einer Regierungserkl\u00e4rung klarmachen: Meiner Staatsmacht und Regierungskunst stellt sich niemand in den Weg. Offenkundig schien ihm dabei ein begrenzter Konflikt hilfreich. So lie\u00dfe sich ja belegen, dass die Berufsdemonstranten den Rechtsstaat tats\u00e4chlich infrage stellten. Mappus wollte ihn verteidigen und die Gegner demoralisieren, indem die B\u00e4ume im Park exakt zum vorgegebenen Zeitpunkt fallen.<\/p>\n

Es kam bekanntlich anders. Die Polizei verlor die Kontrolle \u00fcber den Einsatz. Mappus klare Zielvorgabe erwies sich als nicht umsetzbar. Jedenfalls nicht ohne Wasserwerfer und Pfefferspray. Ganz ohne Zweifel h\u00e4tte Mappus der Polizei den Abbruch des Einsatzes erm\u00f6glichen k\u00f6nnen. Er wollte aber seinen Schlachtplan umsetzen: Der Innenminister wies die Schuld an der Gewalt ausschlie\u00dflich den Demonstranten zu, selbst fliegende Pflastersteine wurden erfunden. Erst als im Staatsministerium klar wurde, dass die Schlacht medial verloren war, lenkte Mappus ein. Aus Angst vor Machtverlust, nicht aus Einsicht, gab er sich zerknirscht und stimmte der Gei\u00dfler-Schlichtung zu.<\/p>\n

Mappus blieb dabei so authentisch, dass er nicht einmal eine Entschuldigung gegen\u00fcber den vielen Verletzten oder dem fast erblindeten Rentner Dietrich Wagner \u00fcber die Lippen brachte. Dabei h\u00e4tte er genau hier die Chance gehabt, sich durch eine vers\u00f6hnende Geste als Landesvater zu zeigen. Zu sehen war nur ein Landeshalbstarker, der nach der Schl\u00e4gerei sagt, die anderen h\u00e4tten angefangen, und sich dabei denkt, denen sei es gerade recht geschehen.<\/p>\n

Mappus hatte Gl\u00fcck. Seine Gegen\u00fcber waren verantwortungsvoll genug, den friedlichen Weg der Schlichtung mitzugehen. Die schwierigste Phase seiner Amtszeit \u00fcberstand er durch Zur\u00fcckhaltung. Leicht auszumalen, wie schwer ihm das gefallen sein muss. Umso entschiedener bereitete er den Coup vor, der ihm nun die Wahl sichern sollte: den R\u00fcckkauf der EnBW-Aktien vom franz\u00f6sischen Staatskonzern EDF.<\/p>\n

Mappus wollte sich damit als f\u00fchrungsstarker Macher profilieren, der den Wirtschaftsstandort sichert. Und den Erfolg wollte er ganz f\u00fcr sich allein. Deshalb bereitete er das Gesch\u00e4ft nur mit CDU-Freunden aus Investmentbanken und Anwaltskanzleien vor. Sogar den Landtag stellte er vor vollendete Tatsachen, indem er unter Berufung auf einen Notstandsparagrafen eine rechtsg\u00fcltige Unterschrift unter den Kaufvertrag setzte. Die Eile sei zur Abwehr einer drohenden \u00dcbernahme notwendig gewesen, einen Parlamentsvorbehalt h\u00e4tten die Franzosen nicht akzeptiert, rechtfertigte sich Mappus.<\/p>\n

Doch f\u00fcr das Milliardengesch\u00e4ft mit dem Energieversorger gab es keinen Grund und schon gar keinen zur Eile. F\u00fcr das Aktienpaket der EDF hatten oberschw\u00e4bische Landkreise ein Vorkaufsrecht. Bis heute existiert kein Hinweis darauf, dass \u00fcberhaupt jemand eine \u00dcbernahme plante. Au\u00dfer Mappus.<\/p>\n

Der Kauf der EnBW l\u00f6ste die erhofften patriotischen Regungen aus, und all die merkw\u00fcrdigen Umst\u00e4nde w\u00e4ren Mappus verziehen worden, h\u00e4tte er zumindest die Fraktionsvorsitzenden im Landtag in seinen Plan eingeweiht, um das Budgetrecht des Parlaments zu achten. Niemand hat ihn daran gehindert, nur sein Ehrgeiz und der Anspruch der Alleinherrschaft. Mappus kennt keine Schranken und kein Unrechtsbewusstsein. Den Stuttgart-21-Gegnern h\u00e4lt Mappus heute vor, sie akzeptierten den Schlichterspruch nicht. Dabei hatte er immer erkl\u00e4rt, dass er Gei\u00dfler nicht einmal einen Baustopp zugestehen werde. Ihm fehlt schlicht ein Sensorium f\u00fcr das, was nicht geht.<\/p>\n

Das Land wird Mappus Ehrgeiz teuer zu stehen kommen. Nach Auffassung von Analysten ist der Kaufpreis von fast 5 Milliarden Euro deutlich \u00fcberh\u00f6ht. Wenn das Land verkaufen muss, drohen Milliardenverluste. Der zu 100 Prozent \u00fcber Fremdkapital finanzierte Aktienkauf erinnert Wirtschaftszeitungen wahlweise an Heuschrecken oder Milchm\u00e4dchen. Denn das Unternehmen soll die Zinsen f\u00fcr seinen Kauf durch Dividenden vollst\u00e4ndig selbst bezahlen. Das Land muss den Konzern auspressen, wenn es schlecht l\u00e4uft, sonst t\u00fcrmen sich Verluste in der Landeskasse.<\/p>\n

F\u00fcr Mappus ist der kommende Urnengang eine „Schicksalswahl“. Er meint wohl sein eigenes Schicksal. Seine Popularit\u00e4tswerte sind bescheiden. Da ist ihm zur Mobilisierung der eigenen Anh\u00e4ngerschaft jedes Mittel recht. Gr\u00fcn-Rot f\u00fchrt in den Umfragen in allen Jahrg\u00e4ngen, die aktuell den Wohlstand des Landes erwirtschaften. Nur bei den \u00fcber 60-J\u00e4hrigen hat Schwarz-Gelb eine Mehrheit. Und das ist die W\u00e4hlergruppe, f\u00fcr die konservative Werte besonders wichtig sind. Anstand, Respekt, Seriosit\u00e4t und Solidit\u00e4t sind Eigenschaften, die nicht Mappus, sondern sein gr\u00fcner Gegenkandidat Winfried Kretschmann verk\u00f6rpert. Weil Kretschmann bis hin zur Mitgliedschaft im Zentralrat der Katholiken alles mitbringt, was Mappus zum Landesvater fehlt, schreckt der Ministerpr\u00e4sident nicht davor zur\u00fcck, seinen Konkurrenten wider besseres Wissen als altersschwache Marionette des gr\u00fcnen Bundesvorsitzenden Cem \u00d6zdemir hinzustellen. Und wenn der einmal Ministerpr\u00e4sident sei, w\u00fcrden Klassenarbeiten im Ramadan verboten. So funktioniert Politik f\u00fcr Stefan Mappus. Die Regeln legt er fest. Ma\u00dfstab ist dabei nur der vermutete Erfolg.<\/p>\n

Gemessen daran ist er schon jetzt grandios gescheitert. Wer alles nur dem Machterhalt unterordnet, darf sich dabei nicht so oft verrechnen. Die Wahl am 27.\u00a0M\u00e4rz ist eine Abstimmung \u00fcber den ungez\u00fcgelten Machtanspruch des amtierenden Ministerpr\u00e4sidenten. Gewinnt Mappus, muss er auf niemanden mehr R\u00fccksicht nehmen. Das w\u00e4re gef\u00e4hrlich. Er hat durch bedenkenlose Missachtung der Verfassung, der \u00f6konomischen Vernunft und des politischen Anstands bereits bewiesen, dass er f\u00fcr das Amt des Ministerpr\u00e4sidenten ungeeignet ist.<\/p>\n

\"wikipedia.de<\/a>Boris Palmer,<\/strong> 38, ist Oberb\u00fcrgermeister von
\n
T\u00fcbingen<\/a> und Mitglied im Bundesparteirat der
\nGr\u00fcnen<\/a>. Von 2001 bis 2007 sa\u00df er im
Landtag<\/a>
\nvon Baden-W\u00fcrttemberg.
Stefan Mappus<\/a> war
\nzu dieser Zeit Staatssekret\u00e4r, Umweltminister
\nund CDU-
Fraktionsvorsitzender<\/a>.<\/h5>\n
Quelle: T\u00fcbingens OB \u00fcber Mappus – Landeshalbstarker statt Landesvater<\/a>
\nMit freundlicher Genehmigung von\u00a0
\"taz,<\/a> und Boris Palmer<\/a>.<\/h5>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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