{"id":6632,"date":"2011-07-10T03:17:15","date_gmt":"2011-07-10T14:17:15","guid":{"rendered":"http:\/\/barrierefrei.gegen-stuttgart-21.de\/?p=6632"},"modified":"2011-07-10T05:48:42","modified_gmt":"2011-07-10T16:48:42","slug":"eine-meinung-zu-haben-ist-einfacher-als-sich-zu-informieren","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/barrierefrei.gegen-stuttgart-21.de\/2011\/07\/10\/eine-meinung-zu-haben-ist-einfacher-als-sich-zu-informieren\/","title":{"rendered":"„Eine Meinung zu haben ist einfacher, als sich zu informieren !“"},"content":{"rendered":"

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
\nim Folgenden leite ich Euch\/Ihnen einen weiteren Artikel des Psychologen Dr. Robert Schmittmann weiter, dessen Lekt\u00fcre ich Ihnen\/Euch w\u00e4rmstens empfehlen m\u00f6chte. Nach der Schlichtung, seit der die Fakten zu Stuttgart 21 f\u00fcr alle offensichtlich auf dem Tisch liegen, muss sich der Streit auf der Meinungs<\/strong>ebene eigentlich erledigt haben, \u00e4rgerlicherweise wird er aber immer noch auf dieser Ebene gef\u00fchrt \u2013 sogar die Autoren der Seite \u201eKontext\u201c in der TAZ gehen dieser Argumentationsebene auf den Leim -, was der Betreiberseite von S21 n\u00fctzt. Bitte nicht davon st\u00f6ren lassen, dass bei dem Artikel der \u201eAnmarsch\u201c zum Thema S21 etwas weiter ist; ich halte es f\u00fcr sehr n\u00fctzlich, dass er weiter ausholt, Hintergr\u00fcnde beleuchtet und auf diese Weise dringend notwendige Substanz f\u00fcr die eigene Argumentation liefert. Wie der Artikel zum Thema Gewalt darf auch dieser Artikel \u2013 mit Angabe des Autors \u2013 gerne verbreitet werden.<\/p>\n

Herzliche Gr\u00fc\u00dfe
\nGuntrun M\u00fcller-En\u00dflin<\/p>\n

Pfarrerinnen, Pfarrer und Christen gegen Stuttgart 21<\/strong>
\nHomepage: www.s21-christen-sagen-nein.de<\/a>
\nBlog:
www.s21-christen-sagen-nein.org<\/a>
\nStuttgart 21 \u2013 Christen sagen NEIN<\/p>\n

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Einige \u00dcberlegungen zum Thema\u00a0 \u201aKampf der Meinungen\u2019<\/strong><\/p>\n

Autor: Dr. Robert Schmittmann (Juni\u00a0 2011)<\/p>\n

\u00dcber \u201aMeinungen\u2019 wird in den Medien immer viel geredet, es wird im demokratischen Kontext \u00fcber den dringend notwendigen \u201aMeinungsaustausch\u2019 gesprochen und h\u00e4ufig auf das Recht auf \u201aMeinungs\u00e4u\u00dferung\u2019 gepocht. \u00dcbersehen wird dabei, dass das mit der \u201aMeinung\u2019 – psychologisch betrachtet – eine ganz schwierige Sache ist und deshalb viel Schindluder damit getrieben werden kann. Einige sortierende Gedanken sind dringend notwendig.<\/p>\n

1.\u00a0 Informiert-Sein ist etwas anderes als eine Meinung haben<\/strong><\/p>\n

Der Begriff \u201aMeinung\u2019 ist auf der Ebene der Kommunikation relevant und wir fragen uns, wann redet man h\u00e4ufig von Meinung und wann t\u00e4te man es besser nicht.\u00a0 –\u00a0 Es sieht so aus, als w\u00e4re es manchmal wichtiger, eine \u201aMeinung\u2019 zu haben, als gut informiert oder nachdenklich zu sein und auf dem \u201aMarktplatz\u2019 der Kommunikation spielt \u201aMeinung\u2019 offenbar ziemlich unreflektiert eine ganz gro\u00dfe Rolle, die man als psychologisch denkender Mensch nicht so leicht nachvollziehen kann.<\/p>\n

Wenn wir unsere Meinung \u00e4u\u00dfern, ist nicht unerheblich dabei, dass wir uns f\u00fcr andere zu erkennen geben, zu welcher Gruppierung wir geh\u00f6ren und das muss offenbar schnell gehen. Geben wir uns z\u00f6gerlich, zu g\u00e4ngigen Sachverhalten unsere Meinung zu sagen, und versuchen obendrein zu differenzierteren \u00dcberlegungen auszuholen, wird unser Gegen\u00fcber schnell nerv\u00f6s und f\u00e4llt uns besserwisserisch ins Wort.<\/p>\n

\u00dcber Meinungen zu reden, hat auf der Kommunikationsebene offenbar eine absolut vorrangige Funktion f\u00fcr Gruppenbildungsprozesse und Parteienbildung (z\u00e4hlt man zu denen oder denen?). Es sieht so aus, als wenn der Unterschied nicht mehr wahrgenommen w\u00fcrde, dass \u201aInformiert Sein\u2019 grunds\u00e4tzlich etwas anderes ist, als \u201aeine Meinung zu haben\u2019 und dass es kein seltenes gesellschaftliches Ph\u00e4nomen ist, dass der Tatbestand des \u201aInformiert-Seins\u2019 auf verlorenen Posten gegen\u00fcber dem massiven Anspruch \u201aeine Meinung-haben-zu-d\u00fcrfen\u2019\u00a0 steht.<\/em><\/p>\n

Solche Kollisionen kommen nat\u00fcrlich auch dadurch zustande, weil es viel leichter ist, eine Meinung zu haben, als sich zu informieren<\/strong>.\u00a0 Deswegen liegt es f\u00fcr viele superschnelle, angeblich moderne Zeitgenossen stark im Trend, viel darin zu investieren, immer die richtige Meinung zur richtigen Zeit parat zu haben, statt in etwas m\u00fchsamere Prozesse des Sich-Informierens und Sich-Kundig-Machens einzutreten. Und weil das mit der Meinung auch noch viel einfacher und schneller geht, kann man nicht nur den zeitlichen Vorsprung konkurrenzm\u00e4\u00dfig anderen gegen\u00fcber ausnutzen, sondern das mit der Meinung scheint sich auch noch in manche rationierten und beschleunigten Arbeitsprozesse reibungsloser einzupassen.<\/p>\n

2.\u00a0 Um was geht es, wenn es nicht um das \u201aWahr \u2013 Unwahr\u2019 geht?<\/strong><\/p>\n

Treffen jetzt ein Vertreter des \u201aInformiert-Seins\u2019 und ein Vertreter des \u201aMeinung-haben-d\u00fcrfens\u2019 zusammen, l\u00e4sst normalerweise derjenige mit der Meinung\u00a0 dem Informierten den Vortritt und h\u00f6rt ihm zu, weil der mehr zu sagen hat.\u00a0 So sollte es eigentlich sein.<\/p>\n

Normal sollte auch sein, dass man sich auf bestimmte Realit\u00e4tswahrnehmungen von grundlegenden Sachverhalten einigen kann. Sich gemeinsam ein Bild von einer Sachlage zu machen \u2013 ich sehe das gleiche, was du siehst – , ist etwas sehr Wichtiges in sozialen Gef\u00fcgen. \u00dcbrigens war das auch zun\u00e4chst wesentlicher Bestandteil der Schlichtung bei Stuttgart 21: Eine gemeinsame \u00fcbereinstimmende Sicht auf gravierende M\u00e4ngel des Projekts f\u00fchrte zwischendurch sogar zu der \u00c4u\u00dferung des Schlichters H. Gei\u00dfler: \u201eWenn das so ist, dann darf man den Bahnhof nicht bauen\u201c und den Kritikern (Boris Palmer) wurde daraufhin sogar ein Job bei der Bahn angeboten. –\u00a0 Da war man auf dem Boden der gemeinsamen Realit\u00e4tswahrnehmung, es konnte kurzfristig friedlich und es h\u00e4tte konstruktiv weiter gehen k\u00f6nnen, wenn das nicht mit der \u201aMeinung\u2019 gewesen w\u00e4re.<\/p>\n

Bei dem M\u00fchen und Ringen um eine m\u00f6glichst unverf\u00e4lschte Wahrnehmung der Realit\u00e4t befindet man sich seit 2500 Jahren im Bereich der Wissenschaft, die den Code \u201awahr – unwahr\u2019 verwendet. Dieser Code ist seit einiger Zeit in gro\u00dfer Gefahr; Geld und Wirtschaftsinteressen versuchen ihn zu degradieren (s. Guttenberg- Aff\u00e4re).<\/p>\n

Die Zeiten f\u00fcr eine Demontage scheinen gef\u00e4hrlich g\u00fcnstig: Je un\u00fcbersichtlicher und undurchschaubarer eine Informationslage n\u00e4mlich ist oder gestaltet wird, um so eher kann die Kommunikation vom \u00fcberpr\u00fcfbaren Code \u201awahr – unwahr\u2019 weggef\u00fchrt werden. Es geht dann eher in Gespr\u00e4chen um den meinungsbildenden und gruppendynamisch wirksamen Code: \u201aIst man der einen oder anderen Meinung\u2019 und wenige merken noch, dass es eigentlich darum gehen m\u00fcsste, sich eine bessere Informationsbasis zu verschaffen.<\/p>\n

3.\u00a0 Wenn das \u201aInformiert-Sein\u2019 , wenn Arbeit nichts mehr wert ist<\/strong><\/p>\n

Es gibt gravierende Auswirkungen, wenn die Zustimmung und Annahme einer Realit\u00e4tswahrnehmung (Ich sehe, was du siehst) verweigert wird und das passiert, wenn eine Seite weiter darauf beharrt, weiterhin anderer Meinung zu sein, ohne auf die angebotene sachliche Informationsebene eingegangen zu sein.\u00a0 Sie riskiert den Abbruch der Kommunikation.<\/p>\n

Das kommt n\u00e4mlich einem Abwerten gleich und l\u00e4sst dem Gegen\u00fcber nur die M\u00f6glichkeit, vehement aus dem System auszusteigen oder depressiv zu werden\u00a0 oder auszuflippen.\u00a0 Diese Art Kommunikation des Ignorierens und \u00dcber-etwas-Hinweggehens wird nicht selten (in Firmen) bewusst praktiziert und hat zerst\u00f6rerische Wirkungen f\u00fcr Sozialsysteme. Eine loyale Kommunikationsgemeinschaft funktioniert nur, wenn das, was vom anderen als wichtig reingegeben wird, hier immer als ein vollg\u00fcltiger Beitrag best\u00e4tigt und gew\u00fcrdigt wird. (Die Entwertung der Arbeit anderer birgt immer sozialen Sprengstoff.<\/p>\n

4.\u00a0 Das Spiel der Meinungen in gro\u00dfen organisatorischen Kontexten\u00a0<\/strong><\/p>\n

Die zunehmende Undurchschaubarkeit und Un\u00fcbersichtlichkeit der Welt, das unaufhaltsame Aufbl\u00e4hen gro\u00dfer Organisationen und Konzerne beg\u00fcnstigen solche Prozesse der Entwertung und der Demontage des Codes \u201aWahr \u2013 Unwahr\u2019. Sie sind deshalb f\u00fcr den einzelnen Menschen und f\u00fcr unsere ganze Welt ein riesiges Problem:<\/p>\n