Offener Brief: Wir manipulieren nicht bei den Zählungen der Demoteilnehmer

Wir, ein Team aus 30 Personen, zählen die Teilnehmer bei den Demonstrationen gegen Stuttgart 21 regelmäßig seit Juli 2010. Hierbei verwenden wir anerkannte Techniken zum Zählen größerer Menschenmassen.

Wir zählen, um unabhängige Zahlen zu haben. Im Vordergrund stand zu Beginn das Misstrauen gegenüber den geschätzten Zahlen sowohl der Veranstalter als auch der Polizei. Unsere Zählungen, die wir seit August 2010 durchführen, dienen als Grundlage zur Berechnung der notwendigen Ordner, zur Erhöhung der Sicherheit und zur Abschätzung der benötigten Lautsprecher- und Verstärkersysteme.

Das Zählteam zählt nur in Bereichen, die seriös zu erfassen sind. Teilnehmer auf offenen Flächen, wie der Bereich auf dem Arnulf-Klett-Platz (neuer Standort der Bühne am Bahnhof) oder dem Schlossplatz sind nicht exakt zu ermitteln, da zu viele unkontrollierbare Zu- und Abgänge existieren und eine Unterscheidung in Demonstranten und Passanten nicht in der nötigen Geschwindigkeit möglich ist.

Zu den Bereichen, die seriös zu zählen sind, gehören Demonstrationszüge jeglicher Art und gut begrenzte Plätze, wie der Kurt-Georg-Kiesinger-Platz (Nordausgang des Hbf.) und der Versammlungsbereich im Mittleren Schlossgarten.

Bei unseren Zählungen verwenden wir das Prinzip der Schleusenzählung mittels sogenannter Schusszähler. Hierbei stehen wir bei einem Platz an allen Zugängen mit jeweils einer Person. Im Schlossgarten sind dies zehn und am Kurt-Georg-Kiesinger-Platz elf Stellen. Bei einem Demonstrationszug stehen wir auf der gesamten Breite des Zuges im Abstand von maximal zwei Metern mit Mitgliedern des Zählteams.

Besonders Demonstrationszüge eignen sich für Handzählungen mit Schusszählern, da alle Personen einen sehr kleinen Bereich durchfließen müssen. Allerdings schließen sich nicht alle Teilnehmer einer Kundgebung dem anschließenden Demonstrationszug an, sodass hier Korrekturfaktoren zum Einsatz kommen, die einen Schluss auf die Teilnehmerzahl der Kundgebung zulässt.

Am Beispiel der Demonstration am Samstag, den 19. Februar 2011 hatten wir auf der gesamten Breite des Zuges mit ca. 30 Metern 15 Zähler postiert. Als Summe der Einzelzählungen kamen wir auf abgerundete 29.400 Teilnehmer. Ein in Sachen Stuttgart 21 neutraler Eventmanager beobachtete aus dem Restaurant des Kunstmuseums die Kundgebung und den Anfang des Demozuges. Er schätzte, dass ca. ei Drittel der Teilnehmer der Kundgebung nicht am Demonstrationszug teilnahmen. Mit dem so ermittelten Faktor 1,35 berechneten wir die letztendlich bekanntgegebene Zahl von 39.396 Teilnehmern.

Die Polizei gab für die selbe Veranstaltung am 19. Februar 2011 eine Teilnehmerzahl von 15.000 an. Es handelt sich hierbei wie bei bisher allen Angaben der Polizei zu Teilnehmerzahlen um eine Schätzung.

Zum ersten Mal wurde diese Schätzung jedoch mit Hilfe eines Luftbildes überprüft. Um 14.30 Uhr wurden von einem Hubschrauber aus Luftaufnahmen gemacht, die später von „diversen Dienststellen unabhängig voneinander“ (Stefan Keilbach) ausgewertet wurden.

Das Luftbild zeigt jedoch nicht die komplette Fläche, auf der Demonstranten standen, denn diese hielten sich auf dem gesamten Schlossplatz bis hin zur Bolzstraße auf. Auch sind z.B. die Demonstranten in dem Gang hinter den Säulen des Königsbaus nicht erkennbar.

Der Zeitpunkt wird vom Pressesprecher der Polizei als „Höhepunkt der Kundgebung“ angegeben. Erfahrungsgemäß liegt dieser jedoch gegen Ende der Kundgebung – kurz vor Beginn des Demozuges.
Denn nicht wenige Menschen (ältere oder Familien mit Kindern) wollen oder können nicht über eine Stunde auf dem Schlossplatz stehen, bevor der Demozug losgeht und kommen daher erst zum Demozug hinzu. Zu diesem Zeitpunkt waren dann z. B. auch die Treppen neben dem Kunstmuseum gedrängt voll, wogegen auf der Polizeiaufnahme um 14:30 Uhr die Menschen dort noch nicht so eng standen.

Es handelt sich bei den Luftbildern also um eine reine Momentaufnahme, die ca. 40 Minuten vor dem Höhepunkt der Kundgebung gemacht wurde. Die Auswertung fand polizeiintern statt, die Mitglieder des Aktionsbündnisses wurden hierzu nicht eingeladen. Wir sagen: Selber zählen ist wie Baustopp selber machen!

Bereits im September 2010 haben wir in einem offenen Brief an die Polizei eingeladen, an unseren Zählungen teilzunehmen. Diese wurde zu unserem Bedauern nie angenommen.

Wir sprechen daher heute eine erneute Einladung aus, an unseren Zählungen teilzunehmen und sich somit von deren Seriosität zu überzeugen.

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Kästner und das Zählerteam

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