S 21 – Kündigungsgesetz

Entwurf (Stand 25. 7. 2011)
Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S 21 – Kündigungsgesetz)
Vorblatt
A. Zielsetzung
Die Mitfinanzierung des Bahnprojekts Stuttgart 21 durch das Land Baden-Württemberg soll beendet werden.
B. Wesentlicher Inhalt
Die Landesregierung soll durch den Gesetzgeber verpflichtet werden, Kündigungsrechte bei den vertraglichen Vereinbarungen mit finanziellen Verpflichtungen des Landes Baden-Württemberg für das Bahnprojekt Stuttgart 21 auszuüben.
C. Alternativen
Beibehaltung der vertraglich vereinbarten Mitfinanzierung.
D. Wesentliche Ergebnisse der Regelungsfolgenabschätzung und Nachhaltigkeitsprüfung
Eine wirksame Kündigung hat zur Folge, dass das Land von seinen primären Zahlungspflichten aus den vertraglichen Vereinbarungen frei kommt. Ob bzw. in welcher Höhe sekundäre Ersatzansprüche gegen das Land entstehen, steht derzeit nicht fest bzw. lässt sich nicht beziffern. Bei einer Beendigung des Bahnprojekts Stuttgart 21 müsste der bestehende Kopfbahnhof modernisiert und zukunftsfähig an die Neubaustrecke nach Ulm angeschlossen werden.

Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21
(S 21 – Kündigungsgesetz)

Vom

§ 1
Kündigung der Vereinbarungen

Die Landesregierung ist verpflichtet, Kündigungsrechte bei den vertraglichen Vereinbarungen mit finanziellen Verpflichtungen des Landes Baden-Württemberg für das Bahnprojekt Stuttgart 21 auszuüben.

§ 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.
Stuttgart, den
Die Regierung des Landes Baden-Württemberg:

Begründung

I. Allgemeiner Teil

Der Landtag von Baden-Württemberg hat dem Projekt Stuttgart 21 am 13. Mai 2009 in der Erwartung zugestimmt, dass die Landesregierung in dem eingerichteten Lenkungskreis gemeinsam mit den Projektpartnern auf ein striktes Kostencontrolling achtet.

In Kenntnis der inzwischen bekannten Kostensteigerungen und weiterer Risiken sowie der deutlich zu relativierenden positiven bahnbetrieblichen Effekte – von einer Verdopplung der Kapazitäten ist schon lange keine Rede mehr – muss die Frage nach den Nutzen-Kosten-Verhältnis des Projektes Stuttgart 21 neu gestellt werden. Überschaubaren positiven Verkehrseffekten (Flughafenanbindung) stehen erhebliche nicht ausgeräumte bahnbetriebliche und anderweitige Risiken und Nachteile gegenüber. Angesichts der knappen staatlichen Mittel für Schieneninfrastrukturmaßnahmen muss eine auf ökologische Nachhaltigkeit orientierte Verkehrspolitik verstärkt auf kleinteilige Maßnahmen mit hohem Verkehrseffekt im gesamten Land setzen statt auf wenige Großprojekte mit strittigen Effekten.

A. Legitimation durch den Gesetzgeber
Die Legitimation für eine Beteiligung des Landes an der Finanzierung des Projektes Stuttgart 21 gründete auf Beschlüssen des Landtages und der Landesregierung. Der Landtag hat mehrfach „mit Nachdruck“ seine Unterstützung für das Projekt Stuttgart 21 bekundet und u.a. dem Finanzierungsvertrag zu „Stuttgart 21“ vom 2. April 2009 auf Antrag der Fraktionen der CDU, SPD und der FDP/DVP (Drs. 14/4438) am 13. Mai 2009 zugestimmt.

Trotz des breiten Konsenses im Landtag äußerte sich insbesondere in Großdemonstrationen Protest gegen das Projekt. Mit der Landtagswahl im März 2011 haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Landtag entscheidend geändert. Diese demokratische Entscheidung wirkt sich auch auf die Beurteilung des Projekts Stuttgart 21 aus. Auch innerhalb der Landesregierung bestehen unterschiedliche Auffassungen zu dem Projekt. Die Landesregierung soll nun durch den Gesetzgeber verpflichtet werden, Kündigungsrechte insbesondere bei der genannten Finanzierungsvereinbarung auszuüben. An die Stelle der früheren Zustimmung des Gesetzgebers zu dem Projekt und insbesondere zu den Finanzierungsverträgen tritt die Aufforderung durch den Gesetzgeber, bestehende Möglichkeiten zu nutzen, sich von dem Projekt zu lösen. Damit entzieht der Gesetzgeber dem Projekt seine Zustimmung. Das Demokratieprinzip gebietet es, diese Entscheidung zu berücksichtigen.

Die demokratische Legitimation, auch durch entsprechende Beschlüsse des Landtages, war eine entscheidende Grundlage für den Abschluss der Finanzierungsverträge, selbst wenn den Beschlüssen ungenügende Informationen, insbesondere zu den Kosten, zugrunde lagen. Die positive politische Gesamteinschätzung und die entsprechenden Beschlüsse des Landtages und der Landesregierung stellen Umstände dar, die für die Festsetzung des Vertragsinhaltes der Finanzierungsverträge maßgebend gewesen sind. Mit Verabschiedung dieses Gesetzes verändern sich diese Umstände. Mit Blick auf das Demokratieprinzip ist diese Entscheidung von der Landesregierung auch für die weitere Beurteilung der vertraglichen Vereinbarungen zugrunde zu legen.

B. Verkehrliche Gründe
Das Projekt Stuttgart 21 ist zu beenden, da sich einerseits die verkehrlichen Effekte wesentlich ungünstiger darstellen, andererseits die Kosten und Risiken unkalkulierbar sind. Bei der Zustimmung zu den Finanzierungsverträgen vom 2. April 2009 war der Landtag darüber nicht in vollem Umfang informiert. Unter Berücksichtigung der inzwischen bekannten sowie der zu erwartenden weiteren Kostensteigerungen sowie Bau- und Kostenrisiken sind die mit Stuttgart 21 erreichbaren verkehrlichen Chancen und Risiken einer aktualisierten kritischen Prüfung zu unterziehen. Dabei ist grundsätzlich zu differenzieren zwischen einer Realisierung des Projekts Stuttgart 21, also der
Umgestaltung des Bahnknotens Stuttgart vom oberirdischen Kopfbahnhof zum unterirdischen Durchgangsbahnhof und der Realisierung der Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm. Die Realisierung der Neubaustrecke Stuttgart – Ulm ist unstrittig und nicht Gegenstand dieses Gesetzes. Denn die Neubaustrecke kann in Stuttgart auch an den bestehenden Kopfbahnhof angebunden werden, so wie dies bereits die Bahn vor Entstehen des Projekts Stuttgart 21 geplant hatte. Der Bedarfsplananteil des Bundes an Stuttgart 21 entspricht den Kosten für diese ursprünglich vorgesehene Anbindung der Neubaustrecke. Diese Planungen müssen im Fall eines Projektabbruchs von Stuttgart 21 wieder aufgenommen werden. Mit dem Projekt Stuttgart 21 werden von den Projektpartnern bislang mehrere Ziele verfolgt, die auf der Basis aktueller Erkenntnisse neu zu bewerten sind: Fahrzeitenverkürzung im Schienenverkehr, die Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart, die verbesserte Anbindung des Filderbereichs mit Flughafen und Messe, eine verkehrliche Entlastungswirkung durch die Steigerung des Schienenverkehrs.

1. Verkürzung der Fahrzeiten im Schienenverkehr
Die Aussage, Stuttgart 21 führe zu einer deutlichen Verkürzung der Fahrzeit auf der Ost-West-Achse des Schienenfernverkehrs zwischen Paris/Frankfurt/Mannheim und München/Wien/Bratislava, ist deutlich zu relativieren. Die kommunizierten Fahrzeitgewinne im Umfang von über 20 Minuten sind nahezu ausschließlich auf die geplante Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm zurückzuführen, nicht auf die Umgestaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofs zur unterirdischen Durchgangsstation. Die zusätzliche Beschleunigung im Durchgangsbahnhof durch Stuttgart 21 liegt im Bereich von rund 1 – 3 Minuten. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen ist die Aussage, ohne eine Realisierung von Stuttgart 21 werde Baden-Württemberg vom schnellen Fernverkehr der Bahn abgehängt, ohne Substanz.

Im Regionalverkehr mit dem Ziel Stuttgart Hauptbahnhof ergeben sich durch Stuttgart 21 bestenfalls marginale Fahrzeitverkürzungen. Reisezeitgewinne nur entlang einzelner durchgebundener Relationen durch Stuttgart hindurch auszuweisen, wie in der Vergangenheit geschehen, greift zu kurz. Investitionen sind dann effizient, wenn die Netzwirkung groß ist und die Reisenden in Summe aller Relationen und Umsteigebeziehungen Reisezeit gewinnen. Dies ist möglich bei einem integralen Taktfahrplan, für den der Tiefbahnhof Stuttgart 21 keine guten Voraussetzungen bietet. Der weitaus überwiegende Anteil der kommunizierten verkehrlichen Vorteile von Stuttgart 21 geht neben den Fahrtzeitverkürzungen durch die Neubaustrecke auf Mehrbestellungen an Zugleistungen zurück, die auch ohne Stuttgart 21 möglich sind.

2. Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart
Die Leistungsfähigkeit des Bahnknotens wird durch Stuttgart 21 nicht in dem angekündigten Umfang erhöht. Für das Projekt Stuttgart 21 wurde lange Zeit damit geworben, dass sich dadurch die Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Bahnhofs gegenüber dem bestehenden Kopfbahnhof verdopple, obwohl die Zahl der Gleise von 16 auf 8 halbiert wird. Zitat: „Stuttgart 21 wird dank des Durchgangsbahnhofs die doppelte Leistungsfähigkeit des heutigen Kopfbahnhofs haben“ (Quelle: Menschen verbinden – das neue Verkehrskonzept für Stuttgart und die Region, Herausgeberin: Landeshauptstadt Stuttgart, Stabsabteilung Kommunikation, Oktober 2007).

Im Rahmen der Faktenschlichtung im Herbst 2010 entstanden an der Leistungsfähigkeit des geplanten Bahnknotens Stuttgart 21 ernsthafte Zweifel, da die Deutsche Bahn nicht in der Lage war, funktionsfähige Fahrpläne vorzulegen. Im darauf folgenden sogenannten Stresstest sollte die Deutsche Bahn nachweisen, dass zumindest ein Zuwachs der Zugzahl von 30 Prozent gegenüber dem heutigen Fahrplan in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist (49 Züge).

Die SMA und Partner AG hat am 21. Juli 2011 ihr Audit für den von der Deutschen Bahn durchgeführten Stresstest vorgelegt. Darin bestätigt SMA, dass die geforderte Zahl von 49 Zügen in der Spitzenstunde erreichbar ist; insoweit akzeptiert die baden-württembergische Landesregierung die Bewertung des Stresstests.

Hinsichtlich des Ziels „mit guter Betriebsqualität“ ist jedoch festzuhalten, dass es diese Begriffskategorie im aktuellen Regelwerk nicht gibt. SMA testiert eine „wirtschaftlich optimale Betriebsqualität“. Die Kategorie „Premiumqualität“, die einen Verspätungsabbau erlaubt (bis 2007 im Regelwerk als „gute Betriebsqualität“ bezeichnet), wird dagegen nicht erreicht. SMA weist
im Audit auf eine Reihe von Unstimmigkeiten und Fehlern in den Prämissen des durchgeführten Stresstests hin. Um die Ergebnisse abzusichern, empfiehlt SMA deren Beseitigung sowie einen Abschluss des Stresstest durch einen erneuten Simulationslauf.

Die Ergebnisse des Stresstests zeigen auch, dass das vereinbarte Ziel nur mit betrieblichen Einschränkungen erreicht werden kann. Insbesondere zwingt die geringe Anzahl an Gleisen zu einer großen Anzahl an betrieblich problematischen Doppelbelegungen, bei welchen zwei Züge gleichzeitig auf einem Bahnsteiggleis halten. Dieses Verfahren ist sonst nur in wenigen überlasteten, zu klein gewordenen Großstadtbahnhöfen anzutreffen, wie Köln (9 Gleise), Mannheim (9 Gleise), Hamburg (8 Gleise), für die unstreitig ist, dass weitere Bahnsteige dringend notwendig sind. Dies spricht nicht für
eine leistungs- und zukunftsfähige Infrastruktur.

Andererseits hat sich während des laufenden Umbaus des Gleisvorfelds mit zahlreichen Gleissperrungen erwiesen, dass der bestehende Kopfbahnhof über erhebliche Kapazitätsreserven und hohe betriebliche Flexibilität verfügt. Der Kopfbahnhof besitzt über die aktuelle Zugzahl hinaus noch Kapazitätsreserven, nach ersten Untersuchungen ebenfalls im Umfang bis zu 49 Zügen, bei einer Modernisierung auch darüber hinaus.

Für das ursprüngliche Versprechen, das Projekt Stuttgart 21 führe zu einer deutlichen Steigerung der Leistungsfähigkeit im Bahnverkehr ist die Deutsche Bahn AG den Nachweis schuldig geblieben. Im Gegenteil sind durch die geringe Gleiszahl Einschränkungen in der Betriebsqualität zu erwarten. Die Flexibilität für die Fahrplangestaltung ist aufgrund von Infrastrukturengpässen minimal.

Für die S-Bahn Stuttgart bringt Stuttgart 21 keine Vorteile: Der neue Bahnhof Mittnachtstraße erschließt zwar zusätzliche Fahrgastpotenziale, führt aber auch zu einer Fahrzeitverlängerung für alle auf den Hauptbahnhof Stuttgart zulaufenden Linien und damit für die große Mehrheit der Fahrgäste. Die bei den Planungen zu Stuttgart 21 unterstellte Fahrtzeitverkürzung Feuerbach – Bad Cannstatt scheint nach den vorliegenden Fahrplankonzepten nicht realisierbar. Die gemeinsame Nutzung der Strecke Stuttgart-Rohr bis Flughafen und der Station Terminal mit Zügen des Fern- und Regionalverkehr bringt erhebliche betriebliche Probleme. Die Betriebsqualität des Gesamtsystems der S-Bahn droht sich zu verschlechtern.

3. Anbindung des Landesflughafens sowie der Messe Stuttgart
Relevante Fahrzeitverkürzungen als Folge des Projekts Stuttgart 21 ergeben sich vor allem für Fahrten mit dem Ziel Flughafen/Messe. Hier stellt sich allerdings die Frage der Höhe des Verkehrsaufkommens, der Angemessenheit von Kosten und Nutzen sowie nach Möglichkeiten kostengünstigerer Lösungen für eine verbesserte Schienenanbindung des Flughafens (z.B. Express-S-Bahn). Wie inzwischen bekannt ist, werden die meisten Fernverkehrszüge am Flughafenbahnhof vorbeifahren, da für den Fernverkehr der Fahrzeitverlust für durchfahrende Fahrgäste das Fahrgastpotenzial von Ein-/Aussteigern am Flughafen überwiegt.

Die Fahrplanzwänge der beengten Infrastruktur und die beiden getrennten Bahnhöfe am Flughafen mindern den Nutzen der Flughafenanbindung, insbesondere bestehen am Flughafen keine Anschlüsse zwischen Fern- und Nahverkehr bzw. der S-Bahn. Somit sind die bislang unterstellten Fahrgastzahlen fraglich. Alternative Möglichkeiten zur verbesserten Anbindung des Flughafens im Schienenregionalverkehr wurden im Rahmen der Faktenschlichtung aufgezeigt. Kurzfristig kann mit einem zusätzlichen Bahnsteig in Stuttgart-Vaihingen die Anbindung von der Gäubahn signifikant verbessert werden. Mit einer Express-S-Bahn können die bestehenden Fahrplanlücken geschlossen und die Fahrzeit verkürzt werden.

4. Verkehrliche Entlastungswirkung
Für das Projekt Stuttgart 21 ist eine Verlagerung von jährlich 370 Mio. Pkw-Kilometern auf die Schiene prognostiziert. Dies entspricht 0,5 Prozent der Pkw-Fahrleistung in Baden-Württemberg (70 Mrd. km). Da zudem ein Großteil dieser Verlagerungseffekte auf die in den Berechnungen unterstellte Zunahme der Zugzahlen zurückzuführen ist, ist der auf das Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 entfallende Verlagerungseffekt noch geringer. Für Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene hat Stuttgart 21 gar keine Auswirkungen.

Bei diesen Zahlen kann nicht davon die Rede sein, dass Stuttgart 21 ein entscheidendes Schlüsselprojekt für nachhaltige Mobilität in Baden-Württemberg ist.

5. Weitere Risiken und bahnbetriebliche Nachteile
Ferner gibt es eine Reihe weiterer Risiken und Nachteilen, die erst in den vergangenen Jahren deutlich wurden:

  • Für den Flughafenbereich liegt bis heute keine genehmigungsfähige Planung vor.
  • Im Bereich der Wendlinger Kurve sowie im Filder-/Flughafenbereich wird die aus Kostengründen stark reduzierte Infrastruktur (eingleisige, niveaugleiche Lösungen) – jenseits der Simulationen im Stresstest – im Alltagsbetrieb zu regelmäßigen Behinderungen und Einschränkungen führen.
  • Ein integraler Taktfahrplan – alle Züge treffen sich gleichzeitig im Hauptbahnhof mit kurzen Umsteigezeiten – ist im achtgleisigen Tiefbahnhof nicht umsetzbar.
  • Ein unterirdisches Bahnhofssystem ist – anders als beim oberirdischen Kopfbahnhof – später kaum noch, und wenn, dann nur unter extremen Kosten erweiterbar.
  • Die extrem schlanke Infrastruktur des Tiefbahnhofs mit wenigen Redundanzen ist für Störfälle, wie z.B. liegengebliebene Züge oder Ausfall einer Weiche, sehr anfällig.
  • Die problematische Geologie mit langen Tunnelpassagen im quellfähigen Anhydrit lässt erheblichen frühzeitigen Sanierungsbedarf der langen Bahntunnel mit erheblichen Einschränkungen des Bahnbetriebs befürchten.
  • Die Längsneigung des Bahnhofs von 15,1 Promille – nach den Bestimmungen mit einem Maximalwert von 2,5 Promille eigentlich unzulässig – birgt Sicherheitsrisiken, ebenso werden die zu schmalen Bahnsteige/ Durchgänge für Behinderungen und Gefahren sorgen.
  • Die hohen Baukosten wie auch die später zu erwartenden hohen Nutzungsgebühren für die teure Infrastruktur (Trassenpreise, Stationspreise) werden aus heutiger Sicht den Landeshaushalt belasten und die Handlungsspielräume für den Ausbau des Bahnverkehrs im restlichen Land negativ beeinflussen.

6. Ökologische Nachteile und Risiken
Neben den dargestellten Problempunkten spielen in der Beurteilung die folgenden ökologischen Fragestellungen eine herausragende Rolle bei der heutigen Beurteilung des Projekts Stuttgart 21:

  • Die Eingriffe in den Schlossgarten mit seinen jahrhundertealten Großbäumen sind erheblich und in Stuttgart hoch umstritten
  • Eine Gefährdung des Stuttgarter Mineralwassers kann durch die Absenkung des Grundwassers während der Bauphase nicht ausgeschlossen werden.
  • Die Bebauung der Gleisflächen, die bislang in der Nacht wichtige Kaltluft-Entstehungsgebiete darstellen, ist nachteilig für das Stadtklima.
  • Mit den oberirdischen Gleisflächen gehen sehr wertvolle innerstädtische Trockenbiotope verloren.

7. Alternativen zur Fortsetzung des Projekts Stuttgart 21
Eine Alternative zur Fortsetzung des Projekts Stuttgart 21 besteht in der Modernisierung und dem schrittweisen Ausbau des bestehenden Kopfbahnhofs und Bahnknotens Stuttgart. Im Schlichtungsprozess wurde dieses Konzept als grundsätzlich machbar festgestellt. Wie bereits dargelegt, kann die Neubaustrecke Ulm – Wendlingen – Stuttgart auch an den bestehenden Kopfbahnhof angeschlossen werden, so wie dies ursprünglich von der Deutschen
Bahn vorgesehen war. Ein Großteil der städtebaulich neu zu nutzenden Flächen kann auch bei einer Modernisierung des Kopfbahnhofs realisiert werden (bis zu 75 Prozent der Flächen). Auch eine Anbindung des Flughafens an die Neubaustrecke Stuttgart – Ulm ist grundsätzlich möglich, wie in
der Schlichtung im Konzept K 21 dargelegt wurde.

Eine Modernisierung des Bahnknotens Stuttgart auf Basis des Kopfbahnhofs ist ein modulares Stufenkonzept, das schrittweise entsprechend der finanziellen Möglichkeiten umgesetzt werden kann. Dabei kann jeder einzelne Infrastrukturneubau sofort genutzt werden und besitzt einen eigenen Verkehrsnutzen. Dies ist ein entscheidender Unterschied zur Konzeption Stuttgart 21, welche erst einen Verkehrsnutzen erbringt, wenn das Gesamtkonzept vollständig gebaut ist.

C. Kosten und Risiken
Beim Projekt Stuttgart 21 besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die im Finanzierungsvertrag vorgesehene Kostenobergrenze von 4,526 Mrd. Euro nicht gehalten werden kann. Hierfür spricht zunächst, dass noch bei Abschluss des Vertrages im April 2009 von Kosten in Höhe von 3,076 Mrd. Euro ausgegangen wurde, die bereits im Dezember 2009 auf 4,088 Mrd. Euro nach oben korrigiert werden mussten. Der bei Vertragsschluss für notwendig erachtete „Puffer“ von 1,450 Mrd. Euro ist bereits innerhalb von knapp 9 Monaten um über eine Milliarde auf nunmehr noch 438 Mio. Euro geschrumpft. In der Schlichtung wurde deutlich, dass der Kostenstand 4,088 Mrd. Euro nicht gesicherte Optimierungen und die Realisierung von Chancen einbezieht, wesentliche Risiken aber ausklammert. Die im Zuge des Schlichtungsverfahrens eingeschalteten drei unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften kamen am 15. November 2010 zu der Feststellung, dass die Plausibilisierung der von der Deutsche Bahn AG erstellten Kostenpläne/ Kostenveranschlagungen ergeben habe, dass insbesondere die Annahmen der Deutsche Bahn AG zu möglichen Einspar- und Optimierungspotenzialen eher als optimistisch einzuschätzen sind.

Da zwischenzeitlich von der Deutsche Bahn AG keine weiteren hinreichenden Nachweise vorgelegt wurden, muss damit gerechnet werden, dass der sich aus Überprüfungen im Jahr 2009 errechnete Kostenumfang von über 5 Mrd. Euro nicht unterschritten werden kann. Insoweit wird auch auf die Feststellungen der vorgenannten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften am 15. November 2010 verwiesen:

„Auch unter Berücksichtigung unserer Feststellung hinsichtlich der Höhe möglicher Risiken, sind wir insgesamt der Auffassung, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch noch keine konkreten Hinweise vorliegen, dass die in den Finanzierungsverträgen vereinbarte Gesamtfinanzierung von Euro 4.526,0 Mrd. nicht ausreichend bemessen ist. Hierbei ist zu beachten, dass eine Quantifizierung der zukünftigen Risiken auf Basis der vorgelegten Unterlagen mit hoher Unsicherheit behaftet ist.“

Ende März 2011 wurde bekannt, dass die DB Projektbau GmbH in einer umfangreichen Liste Projektrisiken des Projekts Stuttgart 21 zusammengestellt hat. Die Summe der bezifferbaren Risiken beläuft sich auf insgesamt 1,274 Mrd. Euro. Die Deutsche Bahn AG hat dem Ministerium für Verkehr und Infrastruktur die Liste trotz Aufforderung nicht vorgelegt, da es sich um einen internen Vorgang handele. Die Risiken von erheblichen Baukostensteigerungen insbesondere im Tunnelbau (Anhydrid) und durch das Bauen des Bahnhofstrogs im Grundwasser sind greifbar. Es fehlen bislang auch die Ermittlungen der Kosten infolge des Baustopps im Zusammenhang mit den Landtagswahlen sowie der Umsetzung des Schlichterspruchs. Die Ergebnisse des sog. „Stresstests“ müssen ebenso berücksichtigt werden wie die Kostenauswirkungen der noch ausstehenden Planfeststellungsbeschlüsse zu den Teilabschnitten, für die bislang der Deutsche Bahn AG genehmigungsrechtliche Zulassungen nicht vorliegen.

Auch der Bundesrechnungshof sah sich jüngst noch einmal in seiner Einschätzung aus dem Jahr 2008 bestätigt, wonach aus seiner Sicht für „Stuttgart 21“ mit Kosten deutlich über 5,3 Mrd. Euro zu rechnen sei. In seinem Bericht vom 30. Oktober 2008 (Bundestag-Haushaltsausschuss-Drs. 16/5062) weist der Bundesrechnungshof auch darauf hin, dass das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung seinerzeit in einem internen Gutachten (Haushaltsausschuss-Drs. 16/4474) die Baupreisentwicklung von Großprojekten untersucht habe. Dabei stellte es fest, dass bei Projekten mit bestimmten Risikofaktoren (großer Tunnelanteil, hoher Kupfer- und Stahlanteil) Preissteigerungen von bis zu 60 Prozent zu verzeichnen seien. Besonders anfällig für außergewöhnliche Preissteigerungen seien komplexe Großprojekte mit Gesamtkosten von über 100 Mio. Euro. Aktuell beobachte das Bundesministerium hier Preissteigerungen von bis zu 100 Prozent.

Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die im Finanzierungsvertrag vorgegebene Obergrenze von 4,526 Mrd. Euro überschritten wird. Für diesen Fall sieht der Finanzierungsvertrag vor, dass die Vertragsparteien Gespräche aufnehmen. Eine Einigungspflicht oder ein Schiedsrichterverfahren ist nicht vorgesehen, so dass aus der sog. einfachen Sprechklausel eine Mitverpflichtung des Landes zur Beteiligung an den Kostenüberschreitungen nicht entsteht. Das Land ist nach der Koalitionsvereinbarung der neuen Landesregierung auch nicht bereit, sich an Mehrkosten über 4,526 Mrd. Euro hinaus zu beteiligen. Die Haushaltsermächtigung reicht auch nicht über die im Finanzierungsvertrag vorgesehenen Landesanteile hinaus.

Da die Deutsche Bahn AG deutlich gemacht hat, dass die Wirtschaftlichkeit des Projekts Voraussetzung für seine Realisierung ist, ist davon auszugehen, dass die Deutsche Bahn AG ihrerseits nicht bereit sein wird, alle weitere Kostensteigerungen allein zu finanzieren. Wenn aber weder Land noch Deutsche Bahn AG bereit sind, die zu erwartenden Mehrkosten zu tragen, ist die Finanzierung des Vorhabens und damit seine Realisierbarkeit nicht mehr gewährleistet. Dies führt dazu, dass die Geschäftsgrundlage entfallen ist. Vom Land kann ein Festhalten an dem Finanzierungsvertrag nicht mehr verlangt werden, wenn nicht gesichert ist, dass das Vorhaben finanziert und fertig gestellt werden kann, ohne dass das Land über seine bislang eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen hinaus Finanzierungsbeiträge aufbringt.

Der Anspruch des Landes richtet sich auf eine Anpassung des Vertrages dahingehend, dass weitere Kostensteigerungen über die verabredete Obergrenze von 4,526 Mrd. € hinaus in vollem Umfang von der Deutschen Bahn AG zu finanzieren sind. Aufgrund bisheriger Stellungnahmen der Deutschen Bahn AG ist davon auszugehen, dass sie nicht zu einer entsprechenden Vertragsanpassung bereit ist, weshalb dem Land ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar und ein Kündigungsrecht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwfG gegeben ist. Das Land kann nicht weitreichende Baumaßnahmen abwarten, um
sodann nach dem Prinzip der normativen Kraft des Faktischen in eine unabschätzbare Kostendynamik eingebunden zu werden.

D. Kosten eines Projektausstiegs
Die Deutsche Bahn AG hat behauptet, dass ihr bei einem Abbruch des Projektes Stuttgart 21 Kosten i.H.v. 1,522 Mio. Euro entstehen und angekündigt, dass sie bei einer Vertragsbeendigung durch das Land diese sogenannten Ausstiegskosten gegen das Land geltend machen wird.

In der Schlichtung Stuttgart 21 wurden drei unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften u.a. mit einer gutachterlichen Stellungnahme zur Höhe der von der Deutsche Bahn AG angegebenen Ausstiegskosten beauftragt. Der von den drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften am 15. November 2010 abgegebene Bericht enthält dazu folgende gemeinsame Aussage:

„Die von der DB AG ermittelten Beträge sind in ihrer Höhe nachvollziehbar und plausibel. Unterschiedliche Auffassungen bestehen bei den Gutachtern hinsichtlich der Frage, inwieweit diese Kosten dem Grunde nach unter Ausstiegskosten zu erfassen sind. Dies hängt auch von der Sichtweise (z. B. DB AG, Landeshauptstadt Stuttgart, Land Baden-Württemberg, Bund, gesamtwirtschaftlich) und dem Zeitpunkt der Betrachtung sowie der jeweils zugrunde zu legenden Entscheidungssituation ab. So ergibt sich bei unterschiedlicher Sichtweise unter Umständen eine deutliche Reduktion der Projektausstiegskosten.“
(S. 107 Märkische Revision GmbH WPG, PricewaterhouseCoopers AG WPG, Susat & Partner OHG WPG Bericht Schlichtungskreis zum Projekt Stuttgart 21 unter Leitung von Dr. Heiner Geißler Stuttgart – Gutachterliche Stellungnahme zum Stichtag 15. November 2010)

Die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe der Deutsche Bahn AG bei einer Projektbeendigung durch das Land Ersatzansprüche gegen das Land zustehen, ist offen. Sie war nicht Gegenstand der gutachterlichen Stellungnahme der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und müsste ggf. gerichtlich geklärt werden.

Voraussetzung für einen Ersatzanspruch der Deutsche Bahn AG dürfte zumindest sein, dass die Deutsche Bahn AG ab einem bestimmten Zeitpunkt auf die Realisierung des Projekts Stuttgart 21 bzw. auf den Bestand der Finanzierungsvereinbarungen vertrauen durfte. In diesem Zusammenhang wird zu klären sein, ob und ggf. über welchen Zeitraum ein solches Vertrauen der Deutsche Bahn AG schutzwürdig ist. Soweit die Beendigung des Projektes aufgrund der erheblichen Kostensteigerungen erfolgen wird, wird bei der Beurteilung dieser Frage zu berücksichtigen sein, dass die Kostensteigerungen in der Sphäre der Deutsche Bahn AG liegen.

Das Land wird gegen Ersatzansprüche der Deutsche Bahn AG – sofern solche bestehen sollten – einwenden, dass die Deutsche Bahn AG dem Land nicht in Rechnung stellen kann, dass sie in früheren Jahren für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm Kosten nutzlos aufgewendet habe oder dass ihr ein Gewinn – etwa wegen entfallener Wertsteigerung von Grundstücken – entgangen sei. Der Grund dafür ist, dass die Deutsche Bahn AG dem Land vor Abschluss des Finanzierungsvertrages das Ergebnis einer Konzernwirtschaftlichkeitsrechnung vorgelegt hatte, die neben der Projektrealisierung eine Vergleichsrechnung für den Fall eines Projektabbruches (sog. Weiterführungsfall) eingeschlossen hatte. Diese Wirtschaftlichkeitsrechnung kam erst durch die Vereinbarung von zusätzlichen Finanzierungsbeiträgen von Land Baden-Württemberg, Stadt Stuttgart, Verband Region Stuttgart, Flughafen Stuttgart GmbH sowie der Bundesrepublik Deutschland zu einem – bezogen auf das Projektvolumen – knapp positiven Ergebnis. Bei einem Projektabbruch kommen auf die Deutsche Bahn AG erhebliche Kosten zu, und es entfallen die positiven Effekte aus dem Projekt Stuttgart 21. Andererseits wird sie gleichzeitig von den erheblichen Investitionskosten im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Projektdurchführung befreit. An dem ausgeglichenen Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsrechnung wird deutlich, dass sich für die Deutsche Bahn AG bei einer gesamthaften Betrachtung die positiven und negativen Effekte die Waage halten. Insbesondere ist in das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsrechnung bereits eingeflossen, dass im Falle eines Projektabbruchs bisherige Planungskosten nutzlos aufgewendet sind und eine Rückabwicklung des mit der Stadt Stuttgart geschlossenen Grundstückskaufvertrages zuzüglich Zinsen erfolgen wird. Ersatzansprüche der Deutsche Bahn AG können daher allenfalls dann begründet sein, wenn sie sich auf Sachverhalte beziehen, die nicht bereits in der Wirtschaftlichkeitsrechnung berücksichtigt sind.

Ob überhaupt und wenn ja in welcher Höhe der Deutsche Bahn AG bei einer Beendigung des Projektes Stuttgart 21 ein Ersatzanspruch gegen das Land zustehen wird, ist demnach völlig offen. In jedem Fall kann es sich nur um einen geringen Bruchteil dessen handeln, was sich die Deutsche Bahn AG berühmt.

II. Besonderer Teil

Zu § 1
§ 1 verpflichtet die Landesregierung dazu, Kündigungsrechte bei den vertraglichen Vereinbarungen, insbesondere für den Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 zu Stuttgart 21, auszuüben.
Zu § 2
§ 2 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes am Tag nach seiner Verkündung im Gesetzblatt.

(27. Juli 2011 von Fritz Mielert)
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