Prof. Dr. Karl-Dieter Bodack hat sein Papier überarbeitet, in dem er darstellt, an welchen Problemfeldern S21 scheitern wird. Wir präsentieren Ihnen hier das Papier als Text (unten) und als PDF-Datei [26 KB].
„Stuttgart 21“ scheitert in sechs Problemfeldern: Ein aktueller Weiterbau ist unverantwortlich! 1. Für die Bahnanlagen am Flughafen (PFA 1.3) hat die DB seit 2002 mehrfach Pläne beim EBA eingereicht und ist damit gescheitert. Sie umfassen die Verbindung zur Neubaustrecke nach Wendlingen-Ulm, den Flughafen-Fernbahnhof und die Nutzung der S-Bahn-Anlagen auch für andere Züge der Gäubahn; u.a. bezweifelt das EBA die Leistungsfähigkeit des vorhandenen Flughafen-S-Bahnhofs nach dem Umbau auf eingleisigen Betrieb. Dieses Planfeststellungsverfahren sollte gemäß der DB-Planung Ende 2009 abgeschlossen sein — tatsächlich steht es seit 9 Jahren am Anfang: Die Planunterlagen sind noch gar nicht beim Regierungspräsidenten, das Anhörungsverfahren ist noch nicht eröffnet. Es muss erwartet werden, dass genehmigungsfähige Pläne erhebliche Verbesserungen erfordern, wesentliche Mehrkosten im Gesamtprojekt verursachen und erst Ende 2013 rechtswirksam werden. Die Inbetriebnahme im Jahre 2019 erscheint ausgeschlossen, Bauarbeiten 2011 unnötig und unwirtschaftlich! Der Vorstand der DB erklärte angesichts von Projektrisiken und Kostensteigerungen im Jahre 2002: „Insgesamt gilt für neue Projekte wie beispielsweise das Projekt Stuttgart 21 grundsätzlich, dass eine Umsetzung erst nach abgeschlossenen Planfeststellungsverfahren erfolgt!“ Mit aktuellen Bauarbeiten bricht die DB diese vom Vorstand abgegebene Versicherung! 2. Die von der DB vorgesehenen Kostenreduktionen von ca. 900 Mio.Euro, mit denen die Projektkosten auf 4088 Mio.Euro reduziert werden sollen, erscheinen in wesentlichen Anteilen nicht realisierbar. Die zur Reduzierung der Tunnelwandstärken erforderlichen Genehmigungen erscheinen fraglich, die Kostenreduktionen durch verringerte Stahlpreise unrealistisch. Daher muss erwartet werden, dass nur ein Teil der vorgesehenen Einsparungen realisiert werden kann: Der Wert von 4,5 Mrd. Euro, der als Obergrenze für das Projekt von den Partnern festgelegt ist, ist auf der Basis der DB- Kalkulation überschritten. 3. Die DB hat 121 Risikofelder ermittelt, die in fast allen Fällen zu Kostensteigerungen führen können jedoch nur eine einzige Chance für Kostensenkungen. Bei 47 Risiken und der einzigen Chance stehen im Saldo Kostensteigerungen von 1.264 Millionen Euro in den Listen der DB. Für die weiteren 73 Risiken gibt es keine Kostenangaben. Selbst wenn dafür nur 50% der genannten Werte und nur eine durchschnittliche Eintrittswahrscheinlichkeit von 25% unterstellt wird, so wird die Obergrenze von 4,5 Mrd. Euro bei weitem überschritten werden: Gemäß der Vereinbarungen ist das Projekt zu beenden! |
4. Der geforderte Stresstest ist nicht zu bestehen, wenn sinnvolle Anschlüsse und eine gute Betriebsqualität erreicht werden sollen. In einer Analyse der größten Bahnhöfe Deutschlands (veröffentlicht in Eisenbahn-Revue International, Heft 6/2011) kommt Dr. Christoph Engelhardt zu dem Schluss, dass die großen deutschen Durchgangsbahnhöfe (ohne S-Bahn) im Mittel 2,7 Züge je Gleis in der Spitzenstunde schaffen, der Spitzenwert beträgt 4,2 Züge. Dabei ist die Betriebsqualität im Vergleich zum jetzigen Hbf Stuttgart erheblich schlechter. Köln Hbf erreicht danach mit 4,1 Zügen den zweitbesten Wert (de facto waren es am 30.5.2011: 4,5); hier werden täglich mehr als zwei Dutzend ICE-Züge am Hbf vorbei geleitet und halten stattdessen in Köln-Deutz/Messe. (Der in den Diskussionen genannte Bahnhof Brüssel-Central ist für einen Vergleich mit Stuttgart nicht geeignet, da in Brüssel die Umsteigeverbindungen in den Bahnhöfen Midi/Sud und Brüssel-Nord hergestellt werden). Die für S21 geforderten 49 Züge ergeben eine durchschnittliche Belastung je Gleis von 6,1 Zügen: Dieser Wert wird bislang bei keinem großen Bahnhof der DB erreicht: er ist offensichtlich unmöglich! 5. Nach einem vom Umweltministerium des Landes Baden-Württemberg in Auftrag gegebenen Gutachten erfordert die von der DB AG geplante Erhöhung der Menge des abzupumpenden Grundwassers von 3,0 auf 6,8 Mio. Kubikmeter im Stadtbereich die Wiederaufnahme des Planfeststellungsverfahrens. Baumaßnahmen sind nicht zulässig, bevor eine neue Genehmigung erteilt wird. Wird sie nicht erteilt, kann der Tiefbahnhof nicht gebaut werden. 6. Vor der Bebauung frei werdender Bahnanlagen müssen diese „stillgelegt“ und „entwidmet“ werden. Das Allgemeine Eisenbahngesetz schreibt vor, dass dies nur dann genehmigt werden darf, wenn kein anderes Unternehmen die Bahnanlagen übernehmen will und wenn auch langfristig kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht. Die Absicht der DB, die neuen Anlagen als „Verlegung“ der bisherigen zu deklarieren, wird scheitern: Der Tiefbahnhof ist für viele Züge (z.B. alle Dieselfahrzeuge!) nicht nutzbar, hat eine reduzierte Leistungsfähigkeit und ist von der Gäubahn RohrStuttgart gar nicht erreichbar. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat am 31. 5. 2011 die Notwendigkeit spezieller Stilllegungs- und Entwidmungsverfahren bestätigt. Das „Netzwerk Privatbahnen“ hat eine diesbezügliche Feststellungsklage angekündigt. Damit ist absehbar, dass Teile des Kopfbahnhof mit den notwendigen Zufahrten erhalten bleiben müssen: Die Flächen dieser Bahnanlagen stehen für andere Nutzungen nicht zur Verfügung: Die entsprechenden, von der Stadt Stuttgart erhaltene Grundstückserlöse müssen nebst Zinsen von der DB zurückgezahlt werden und fehlen bei der Finanzierung des Großprojekts. Vor allem entfällt eine wesentliche Vertragsgrundlage, Stadt und Land können den Vertrag anfechten. 14. 6. 2011 . Karl-Dieter Bodack . kd.bodack(ät)gmx.de |