Schwere handwerkliche Fehler im S21-Stresstest
Stuttgart, 21. Juli 2011: Die Bahn betrachtet in ihrem sogenannten ‚Stresstest‘ ausschließlich stochastisch verteilte Verspätungen und lässt die real bestehenden Korrelationen vollständig außer Acht. Das ist eine nicht zulässige Vereinfachung. Es wurden keine Störfallszenarien vorgestellt, keine Varianzanalyse und kein Hypothesentest. Aus dieser unzulässig vereinfachten Betrachtung lässt sich bestenfalls ableiten, dass Züge in der Regel irgendwann im Laufe des Tages ankommen.
Systematische Probleme des Bahnknoten Stuttgart und des vorgelegten Fahrplans wurden durch die zu Unrecht gemachten Annahmen vollständig ausgeblendet. Die Bahn hat beispielsweise per Definition festgelegt, dass die angenommen Haltezeiten ausreichend seien. Wenn man aber schon in der Beschreibung des Systems die Annahme zugrunde legt, dass es keine systematischen Mängel gibt, dann ist es nicht verwunderlich, wenn man mit diesem sogenannten ‚Stresstest‘ keine systematischen Mängel findet.
Da die Bahn sich mit großer Vehemenz weigert, den Vertrag mit SMA offen zu legen, ist davon auszugehen, dass SMA keinen Auftrag hat, diese statistischen Untersuchungen und die zugrunde gelegten Verteilungen zu prüfen, zumal solche Untersuchungen nicht zur Kernkompetenz von SMA gehören. Klar ist inzwischen, dass SMA lediglich ein Audit durchgeführt hat, d.h. nur eine formale Prüfung der Simulation, keine inhaltlich-fachliche. In ihrem Audit weißt SMA allerdings darauf hin, dass Störfälle wie etwa eine Weichenstörung nicht betrachtet wurden (S. 8 im .pdf). Da solche technischen Probleme im deutschen Bahnverkehr Alltag sind, kann hier nicht von einem ’schweren Störfall‘ gesprochen werden, ein schwerer Störfall wäre beispielsweise ein entgleister Zug. Es spricht gerade gegen den Tunnelbahnhof, dass auch einfache, alltägliche technische Fehler fast zwingend zu Zugausfällen und großen Umleitungen führen. In einem robusten System können die Auswirkungen einer defekten Weiche oder einer Signalstörung eng begrenzt werden. Auch fehlende Pufferzeiten werden von SMA aufgeführt (S. 63 im .pdf)
„Tatsächlich treten Verspätungen nicht zufällig verteilt und völlig unabhängig voneinander auf“, sagt Parkschützerin und Mathematikerin Dr. Carola Eckstein. „Ein sehr stark ausgelasteter Zug muss mit großer Wahrscheinlichkeit in jedem Bahnhof länger als die veranschlagten ein bis zwei Minuten halten. Dafür brauchen viele Züge in den Schwachlastzeiten nur sehr kurze Halte. Die Bahn hat in ihrem ‚Stresstest‘ angenommen, dass jeder Zug – der vollbesetzte genauso wie der fast leere am frühen Nachmittag – mal etwas länger und mal etwas kürzer anhält. Das ist schlicht und einfach falsch. Da die gemachten Annahmen falsch, sind können aus dieser Simulation keine Aussagen über die Stabilität des Tunnelbahnhofs und des vorgelegten Fahrplans abgeleitet werden.“
Ein wirklicher Stresstest setzt neben korrekt zugrunde gelegten Verspätungsverteilungen auch die Betrachtung von Störfallszenarien voraus. In solchen Störfallszenarien müssen alltägliche Signal- und Weichenstörungen ebenso berücksichtigt werden wie ein Wintereinbruch oder ein defektes oder entgleistes Triebfahrzeug (was heute Vormittag den Bahnverkehr sogar im Stuttgarter Kopfbahnhof trotz zusätzlich vorhandener Kapazitäten gestört hat).
Schließlich muss in einer seriösen Simulation auch eine Varianzanalyse gemacht werden. Die aufgestellte Hypothese‚ der Bahnhof wirkt verspätungserhaltend‘ muss getestet werden. Dafür gibt es klar definierte, wissenschaftlich begründete Verfahren, die bei der Bahn jedoch nicht zur Anwendung kamen.