Pressemitteilung des Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 und der Juristen zu Stuttgart 21
An dieser Stelle veröffentlicht, da auf den Seiten der Herausgeber noch nicht zu finden.
SPD versteckt sich mit CDU und FDP hinter zweifelhaftem Rechtsgutachten, das noch die Interessen der alten Landesregierung vertritt, um Bürgerentscheid zu verhindern.
Zumindest ist jetzt der Weg frei, die entscheidenden Rechtsfragen vor Gericht zu klären.
Heute hat der Stuttgarter Gemeinderat das Bürgerbegehren auf Zulassung eines Bürgerentscheids über den „Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21“ als angeblich unzulässig abgewiesen.
Axel Wieland, Vertrauensperson des Bürgerbegehrens, kritisiert die SPD-Fraktion, die zusammen mit der CDU und FDP nach wie vor die Interessen der alten Landesregierung und des Stuttgarter Oberbürgermeisters vertritt, als hätte es am 27. März keine Landtagswahl mit dem klaren Votum für mehr Bürgerbeteiligung gegeben: „Man kann sich nicht für eine Abstimmung auf Landesebene einsetzen und dies seinen Bürgern vor Ort verwehren, die am meisten von dem Projekt betroffen sind“.
Der Gemeinderat folgt einem Rechtsgutachten, dessen Verfasser den Interessen der alten Landesregierung verpflichtet waren, weil sie diese in der der gleichen Rechtsfrage der Zulässigkeit der Mischfinanzierung des Bahnprojektes schon seit 2007 beraten haben. „Es ist bedauerlich, dass gerade die SPD-Fraktion nicht dem Gutachten des unabhängigen Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Hans Meyer sondern einem zweifelhaften Rechtsgutachten folgt, das nicht neutral ist, sondern allein den Interessen der alten Landesregierung und den politischen Ambitionen des OB dient“, fügt Bernhard Ludwig, ebenfalls Vertrauensperson des Bürgerbegehrens und Mitglied im Arbeitskreis Juristen zu Stuttgart 21, an.
„Bürgerbeteiligung sieht anders aus! Aber nun ist zumindest der Weg frei, die Streitfragen vor den Gerichten zu klären, wo sich die Stadt nicht mehr mit wolkigen Erklärungen und interessengeleiteten Gutachten aus der Affäre ziehen kann“, ergänzt Sigrid Klausmann-Sittler.
„Um die finanziellen Risiken für die Stadt zu minimieren fordern wir einen sofortigen Baustopp bis zur endgültigen Klärung der schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Finanzierungsverträge“, fügt Axel Wieland hinzu.
Das Bürgerbegehren ist entgegen der Auffassung der Mehrheit im Gemeinderat sowie des Rechtsgutachtens der Kanzlei Dolde, Mayen & Partner zulässig:
Die Stadt versucht mit dem Argument, ihr verfassungswidriges Handeln genieße gewissermaßen „Bestandsschutz“, ein rechtmäßiges Bürgerbegehren zu verhindern.
Das Bürgerbegehren verfolgt kein rechtswidriges Ziel, weil es nicht gegen gültige Verträge verstößt. Denn diese Verträge sind wegen Verstoßes gegen das grundgesetzliche Verbot der Mitfinanzierung von Bundesaufgaben durch das Land (einschließlich Stadt, Region und Flughafen) nichtig. Sie können deshalb auch aus wichtigem Grund (vorsorglich) außerordentlich gekündigt werden. Der Stadt scheint nicht einmal der allgemeine Rechtsgrundsatz bekannt zu sein, dass Dauerschuldverhältnisse stets aus wichtigem Grund gekündigt werden können. Prof. Dolde und der Stadt sind offenbar die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zur außerordentlichen Kündigung (§ 314 BGB, § 723 BGB) entgangen. Diesen Fehler hat Prof. Dolde bereits in seinem Gutachten vom 05.10.2010 zum Volksentscheid gemacht.
Das Rechtsgutachten weist weitere handwerkliche Fehler auf. Prof. Dr. Hans Meyer hat seine Kernaussage bereits als „abwegig“ bezeichnet. Die herrschende Meinung hält Mischfinanzierungen für unzulässig. Auch das Bundesverkehrsministerium hat bereits 2007 die Mitfinanzierung von Schienenprojekten durch die Länder als unzulässig bezeichnet (BT-Drs. 15/5855 im Anhang). Selbst wenn man eine Mischfinanzierung für zulässig hielte, so hat das Gutachten von Prof. Dr. Dolde und Dr. Porsch einen schweren Mangel: Es stützt sich auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 81, 312, 314), wonach „die Höhe der Mitfinanzierung […] dem Anteil der Verpflichtung des Aufgabenträgers zur Aufgabenwahrnehmung entsprechen“ muss. Hierbei soll der Stadt ein Beurteilungsspielraum zustehen. Dieser Beurteilungsspielraum entbindet aber nicht von der Pflicht, eine sachliche Begründung zu liefern. Die Stadt hat jedoch nicht begründet, aus welchem sachlichen Grund sie einen Finanzierungsanteil ohne Risikobeteiligung (Kosten von 3.076 Mio. EUR) von 1%, an der Risikovorsorge von 18% und an den Gesamtkosten von 4.526 Mio. EUR von rund 6% vereinbart hat. Die gleiche Ungereimtheit gibt es beim Landesanteil: dieser liegt ohne Risikobeteiligung bei knapp 20% und mit Risikobeteiligung bei knapp 30%. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Gewicht der Aufgaben der Stadt und des Landes größer wird, wenn die Kosten des Projekts steigen.
Ob die Finanzierungsverträge nicht auch wegen der verfassungswidrigen Mitfinanzierung durch das Land (einschließlich Region und Flughafen) nichtig sind, haben Prof. Dr. Dolde und Dr. Porsch sowie die Stadt überhaupt nicht geprüft.
„Die Projektfinanzierung wurde offenbar willkürlich auf dem Basar ausgehandelt und Prof. Dr. Dolde sollte nachträglich einen rechtlichen Persilschein ausstellen“, kommentiert Rechtsanwalt Ludwig.
Die 6-Wochenfrist für das Bürgerbegehren ist nicht abgelaufen. Die Gemeinderatsbeschlüsse, die diese Frist ausgelöst haben sollen, zielen selbst auf eine verfassungswidrige Mischfinanzierung ab und sind daher nichtig. Nichtige Beschlüsse lösen keine Fristen aus. Das ist das Wesen der Nichtigkeit.
Das Bürgerbegehren ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich auf die Haushaltssatzung bezöge. Das wäre nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim nur dann der Fall, wenn es unmittelbar die Haushaltssatzung betreffen würde, nicht aber, wenn es um die finanzielle Beteiligung der Gemeinde an einem Projekt geht (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 08.04.2001, Az.: 1 S 303/11, Rn. 13).
Das Bürgerbegehren zielt nicht auf die rechtsverbindliche Feststellung der Nichtigkeit der Mitfinanzierung der Stadt durch einen Bürgerentscheid ab. Dafür würde dem Gemeinderat auch die Zuständigkeit fehlen. Die Stadtverwaltung und das Rechtsgutachten missverstehen die eindeutigen Anträge im Bürgerbegehren. Es geht darum, dass die Stadt die Maßnahmen ergreift, die sich aus ihrer Bindung an das Grundgesetz ergeben: die verfassungswidrige Mischfinanzierung zu unterlassen und dies den Vertragspartnern mitzuteilen.
Das Bürgerbegehren ist ausreichend begründet. Die Verfassungswidrigkeit der pauschalen Mischfinanzierung des Bahnprojekts und die vorsorgliche Kündbarkeit der zugrundeliegenden Verträge aus wichtigem Grund ergeben sich aus der in dem Bürgerbegehren genannten Verfassungsnorm. § 21 Abs. 3 GemO schreibt im Übrigen nur vor, dass das Begehren begründet werden muss. Die Auffassung der Stadt, es müsse begründet werden, warum die 6-Wochen-Frist für kassierende Bürgerbegehren nicht eingreift, ist in der Gemeindeordnung nicht vorgesehen.