ich freue mich, dass ihr immer wieder Zeit findet, bei uns Wirrköpfen hereinzuschauen um eure wohlgemeinten Ratschläge und fundierten Meinungen abzugeben. Nun, da ich eure ungeteilte Aufmerksamkeit habe, möchte ich die Chance nutzen, euch einmal an einem völlig unrepräsentativen Beispiel aufzuzeigen, warum die Unterhaltungen mit euch so kompliziert sind.
Heute ist im Stuttgarter Bahnhof ein Zug entgleist. Er kam aus Amsterdam, die Sprüche von bekifften Zugführern lassen wir mal außen vor. Wie es sich für unsere aufgeregte Stadt gehört, geht es im Kommentarbereich unter dem entsprechenden StZ-Artikel hoch her. Unter anderem ist da ein Kommentar von einem gewissen „Weichensteller“, der sich liest wie folgt:
16:08 Uhr, geschrieben von Weichensteller
Was wäre wenn
Weil hier ja gleich wieder die „was wäre wenn das bei S21 passiert wäre“ Frage aufgeworfen wurde: a) Anscheinend ist das Unglück mal wieder an einer weiche passiert. Bei 8 Gleisen benötigt man viel weniger Weichen als sie jetzt im Bahnhofsvorfeld liegen -> Gefahrenreduktion. b) Wenn sowas im neuen Bahnhof passieren würde, wäre natürlich ebenfalls Chaos. Aber wenn sowas auf freier Strecke passiert, z.b. auf der Geislinger Steige, dann herrscht richtig Chaos, egal ob bei K21 oder S21. Also ist die Frage rein theoretisch. Wüsste nicht, dass z.b. der Bahnhof Frankfurt-Flugplatz oder der Bahnhof Ulm dauernd gesperrt sind, weil entgleiste Züge rumstehen.
Und da sind wir auch schon mitten in der Problematik. „Weichensteller“ hat eine Meinung, stellt sie aber als Fakten dar. In diesem Fall meint er, bei 8 Gleisen brauche man weniger Weichen. Allerdings bezweifele ich, dass „Weichensteller“ so erfahren im Bahnhofsbetrieb ist wie der langjährige Stuttgarter Bahnhofsvorsteher Egon Hopfenzitz. Herr Hopfenzitz hat vorgestern einen langen offenen Brief an den Verkehrswissenschaftler Dr. Heimerl geschrieben, in dem er detaillierte Berechnungen anstellt. Unter anderem heißt es darin:
Kopfbahnhof
– Zahl der Weichen (ohne Kreuzungen)
– bei Einfahrt von Feuerbach
nach Gleis 16 = 4 Weichen ab Zwischensignal
nach Gleis 15 = 4 Weichen
nach Gleis 14 = 6 Weichen– bei der Ausfahrt nach Cannstatt
aus Gleis 16 = 4 Weichen
aus Gleis 15 = 4 Weichen
aus Gleis 14 = 6 Weichen Summe 28 WeichenTiefbahnhof
– Zahl der Weichen (ohne Kreuzungen)
– bei Einfahrt von Feuerbach
nach Gleis 1 = 3 Weichen
nach Gleis 3 = 6 Weichen
nach Gleis 4 = 6 Weichen– bei der Ausfahrt nach Flughafen
aus Gleis 1 = 4 Weichen
aus Gleis 3 = 4 Weichen
aus Gleis 4 = 5 Weichen Summe 28 Weichen
Tja, lieber „Weichensteller“, dumm gelaufen.
Seht ihr? Exakt solchen „Diskussionen“ sehen wir uns tagtäglich ausgesetzt. Ihr habt eine Meinung, die meist auf „gesundem Menschenverstand“ (sic!) fußt und ihr verwechselt sie mit Fakten. Uns aber unterstellt ihr, wir seien dumme, technikfeindliche, rückwärtsgewandte Hippies und wenn es nach uns ginge, hätte die Menschheit nie die Bäume verlassen.
Mir ist klar, dass dieses Beispiel nicht repräsentativ ist, aber es zeigt ganz gut auf, was mir ganz persönlich in der ganzen Debatte so auf die Nerven geht. Wir sind weder doof noch unwissend. Wir befassen uns nächtelang mit Fakten und tröten eben nicht nur Halbwissen raus. Also macht euch doch auch hin und wieder mal die Mühe, euch zu informieren, bevor ihr uns wieder mit Milchmädchenrechnungen daherkommt.