Sehr geehrter Herr Schmid,
ich wende mich wegen Ihrer Haltung zu Stuttgart 21 in großer Sorge an Sie. Aus diesem Grunde nehme ich in diesen Tagen auch Kontakt zu diversen SPD – Mitgliedern auf, um sie in ihren Ortsverbänden gegen diese Haltung ihrer Landespartei zu unterstützen. Als ehemaliger Gemeindepfarrer habe ich zum Glück gute basisnahe Kontakte in ganz verschiedene Regionen Baden-Württembergs.
Ich werfe Ihnen vor:
• Sie ignorieren mit Ihrer starren Haltung die unzähligen Fakten, die seit dem Geißlerschen Faktencheck und nicht zuletzt in den letzten Wochen bekannt geworden sind.
• Sie ignorieren, dass es innerhalb der SPD – vor allem an der Basis – erheblichen Widerstand gegen Ihre Befürworterhaltung gibt.
• Sie erwecken den Eindruck, Sie wollten das Volk abstimmen lassen, lassen aber zu, dass sich die SPD-Gemeinderatsfraktion in Stuttgart gegen einen Bürgerentscheid wendet.
• Sie erwecken den Eindruck, Sie wollten das Volk abstimmen lassen, wählen dazu aber einen Weg, der von den Gegnern erfordern würde, mehr Stimmen aufzubringen als die CDU im Land (bis auf einmal sogar zusammen mit der FDP) seit 20 Jahren bekommen hat (auch in dieser Wahl haben Grüne und SPD zusammen weniger Stimmen bekommen, als bei einem Volksentscheid nötig wären), während dann für das Festhalten an dem Projekt überhaupt keine Stimmen erforderlich wären.
• Sie spielen mit dem Scheitern der grün-roten Regierung, indem sie das Thema Stuttgart 21 zur Grundsatzfrage Ihrer Fraktion erheben.
• Sie spielen mit dem Scheitern der grün-roten Regierung, obwohl sie an dieser nur teilhaben, weil die Grünen so stark sind – Ihre Partei hat die Wahl noch deutlicher als letztes Mal verloren.
Ich bitte Sie deshalb dringend: Legen Sie eine Denkpause ein, um nachzudenken über Fragen wie:
• Wäre nicht eine Mitgliederbefragung in Ihrer Partei ein notwendiger Weg sowohl zur Legitimierung Ihrer Haltung als auch zur innerparteilichen Befriedung?
• Müsste nicht auch die SPD ihre Forderung nach einer Volksabstimmung von einem gerechten Volksabstimmungsgesetz abhängig machen?
• Ist die SPD gut beraten, wenn sie – um nicht als Umfallerpartei zu gelten – sich als faktenresistente Starrsinnspartei gibt?
• Eröffnen nicht die innerhalb der Bahn nun immer deutlicher werdenden Zweifel an dem Projekt den Königsweg zum Ausstieg auch für die SPD?
• Hat nicht Herr Mappus vorgeführt, wie die Wähler mit einer Partei umgehen, die auch da meint, Beharrungsvermögen zeigen zu müssen, wo echte (nicht nur theoretische) Demokratie gefragt wäre?
Ich bitte Sie: Halten Sie inne!
Sie sind mit einem bestimmten Flügel Ihrer Partei (vielleicht ja auch beflügelt durch 30.000 Euro der Tunnelbohr-Firma Herrenknecht) dabei, der Stadt Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg schweren Schaden zuzufügen,
• weil der geplante Bahnhof den Bahnverkehr behindern wird, statt ihn zu befördern,
• weil die geplanten Baumaßnahmen selbst von den Firmen, die sie ausführen sollen, für zu riskant gehalten werden,
• weil die Landeshauptstadt auf 10 bis 20 Jahre eine Großbaustelle sein wird,
• weil die nicht offiziell genannten Kosten, die Stadt, Region und Land tragen müssen (Grundstückserwerb, entgangene Zinsen, Gleisflächensanierung, Flughafenbeitrag, Kostenanteil Region, vorzeitige Bezahlung noch nicht benötigter Bahnleistungen und vieles mehr) die erhofften Bundeszuschüsse weit übersteigen,
• weil – die ganz sicher eintretenden – Kostensteigerungen allein von Stadt und Land zu tragen sein werden (Bahn hat „Schmerzgrenze“ 4,5 Mrd., Bund ist nicht Vertragspartner).
Dieses Schreiben geht auch an 38 Adressaten in sämtlichen regionalen Geschäftsstellen der Landes-SPD.
Mit freundlichen Grüßen,
Martin Poguntke
(evang. Pfarrer, Schuldekan und Autor)
09.04.2011
Dies als Briefvorlage nutzen/Liste und eMail-Adresse der Mitglieder der Koalitionsverhandlungen.