Der Begriff Quorum (Plural: Quoren) bezeichnet allgemein eine vorgeschriebene Mindestbeteiligung oder Mindestzustimmung, die für eine politische Entscheidung vorausgesetzt wird. In der Demokratie hat sich das Mehrheitsprinzip durchgesetzt und bewährt: In demokratischen Gremien wie Parlamenten genügt allgemein die einfache Mehrheit, bei grundlegenden Entscheidungen wie Verfassungsänderungen auch eine qualifizierte Mehrheiten von z. B. zwei Dritteln oder drei Vierteln der Stimmberechtigten. Auch die Anzahl der Unterschriften, die für eine Volksinitiative oder ein Volksbegehren mindestens gesammelt werden muss, wird als Quorum bezeichnet.
Das Mehrheitsprinzip gilt vollkommen zu Recht auch in Volksentscheiden. Allerdings hat sich in Deutschland eingebürgert, bei direkten Entscheidungen des Volkes noch ein weiteres Quorum festzulegen. Erst wenn dieses Quorum erfüllt ist, kommt das Mehrheitsprinzip zur Anwendung. Dies ist generell abzulehnen, denn zwei Quoren in einer Abstimmung verzerren in jedem Fall das Abstimmungsergebnis; in den meisten Fällen kehren sie es sogar um. Extrem formuliert dienen solche Quoren einem legalisierten und institutionalisierten Abstimmungsbetrug, der in Deutschland leider üblich ist.
Quoren sind ein mathematischer Trick, um Enthaltungen als Gegenstimmen zu werten.
In der Logik gibt es drei Möglichkeiten, eine Frage zu beantworten: positiv, negativ oder neutral. In Abstimmungen hieße es Ja, Nein oder Enthaltung. Diese drei Antwortmöglichkeiten sind strikt zu trennen, denn sie bedeuten weder in der Logik noch in der Politik dasselbe. Alles andere würde das Abstimmungsergebnis verzerren. Quoren tun aber genau dies: Bürgern, die sich enthalten haben, wird durch das Quorum unterstellt, dass sie mit Nein gestimmt hätten, wenn sie sich an der Abstimmung beteiligt hätten. Ihre Stimmen werden quasi der Gegenseite zugeschlagen, solange das Quorum nicht erreicht ist. Dies ist ein deutlicher Verstoß gegen die Regeln der Logik und Demokratie, denn wer sich enthält, verhält sich neutral und überlässt die Entscheidung denen, die sich an der Abstimmung beteiligen.
Man stelle sich vor, welche Empörung es hervorrufen würde, wenn der Spitzenkandidat einer Partei im Interview am Wahlabend sagen würde: „Mir passt die geringe Wahlbeteiligung nicht. Ich finde, man sollte die Stimmen der Bürger, die sich enthalten haben, meiner Partei zuschlagen.“ Diese Forderung würde zu recht als völliger Unsinn abgetan – aber genau dieser Unsinn wird bei Quoren nicht nur hingenommen, sondern gilt sogar vielen Bürgern als notwendig, ohne dass dies hinterfragt wird.
Quoren bevormunden Bürger.
Durch das Quorum wird zum einen den Bürgern, die sich enthalten haben, unterstellt, dass sie in der Abstimmung dagegen gestimmt hätten, wenn sie sich beteiligt hätten. Zum anderen wird die Mehrheit solange zur Minderheit erklärt, solange das Quorum nicht erreicht ist. Beides stellt im Grunde eine Bevormundung der Bürger durch die Abgeordneten dar, die das Quorum eingeführt haben oder nicht bereit sind, es abzuschaffen.
Quoren widersprechen dem Prinzip der Volkssouveränität und werten Stimmen der Abgeordneten höher als die der Bürger.
Laut dem Prinzip der Volkssouveränität steht das Votum des Volkes über dem seiner Vertreter in den Parlamenten und Gemeinderäten. Durch Quoren wird dieses Prinzip ausgehebelt. Es wird – wieder einmal –, eine Mauer gezogen, hinter der das Prinzip der Volkssouveränität nicht gilt. Betrachtet man zudem die Wahlergebnisse, stellt man in vielen Fällen fest, dass die Mehrheiten in den Parlamenten selbst nicht die Anforderung erfüllen, die durch das Quorum gestellt ist. Beispielsweise gilt für Volksabstimmungen 1 in Baden-Württemberg ein Quorum von einem Drittel der Stimmberechtigten. Die Landtagsmehrheit selbst wurde aber von weniger als einem Drittel der Stimmberechtigten gewählt, 2 kann aber dennoch alles, was auch durch eine Volksabstimmung möglich ist. Dadurch gelten Stimmen der Volksvertreter mehr als die des Volkes selbst – in einer
Demokratie ausgesprochen fragwürdig.
Quoren sind ein Verstoß gegen das demokratische Prinzip der Stimmengleichheit.
In der Demokratie besteht der Grundsatz, dass die Stimmen aller Bürger gleich zu werten sind, unabhängig von Geschlecht, Bildungsstand, religiösem Bekenntnis, sexueller Orientierung, Rasse usw. Ausgerechnet bei Volksentscheiden gilt dieser Grundsatz nicht, denn solange das Quorum nicht erreicht ist, werden die Stimmen der Ja- und Nein-Seite unterschiedlich gewertet. Wenn sich in einem Volksentscheid 80 Prozent für einen Vorschlag aussprechen und 20 Prozent dagegen, wäre das eigentlich eine deutliche Mehrheit für den Vorschlag. Solange aber das Quorum nicht erreicht ist, wird das Abstimmungsergebnis rechnerisch zugunsten der 20 Prozent uminterpretiert. Aus 20 Prozent wird eine Mehrheit.
Erläutert am Beispiel von 20:80 Prozent:
Während beim tatsächlichen Ergebnis die Stimmen von Befürwortern und Gegnern gleich gewertet werden, haben bei dem durch das Quorum uminterpretierten Ergebnis die Stimmen der Befürworter rechnerisch nur noch den Wert von 0,6125 3 je Stimme, die Stimmen der Gegner aber den 2,55-fachen Wert 4 . Es liegt auf der Hand, dass die Verzerrung des tatsächlichen Ergebnisses noch größer wäre, wenn der Anteil der Befürworter größer wäre. Sogar eine Zustimmung von 100 Prozent würde für einen Sieg in der Abstimmung nicht genügen, solange diese 100 Prozent nicht das Quorum erfüllen.
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1 Volksentscheide werden in der Verfassung des Landes Baden-Württemberg „Volksabstimmungen“ genannt.
2 Stand laut Landtagswahl 2011: 31 Prozent
3 49 % : 80 % = 0,6125
4 51 % : 20 % = 2,55
Quoren benachteiligen eine politische Seite und bevorteilen die andere. Dies trifft vor allem Minderheiten und gemeinnützige Vereine und Verbände.
Dadurch, dass eine Seite in einem Volksentscheid nicht nur die Mehrheit, sondern auch noch das Quorum zu erringen hat, ist sie gegenüber der anderen Seite benachteiligt. Dies betrifft vor allem Minderheiten und gemeinnützige Vereine und Verbände, obwohl sich gerade bei diesen das Spezialwissen ballt; politisches Engagement ist in den letzten Jahren geradezu von den Parteien zu den Nichtregierungsorganisationen abgewandert. Innovative Ideen und Minderheiten können so nicht gefördert werden, obwohl gerade dies oft in den Programmen der Parteien versprochen wird.
Quoren sollen angeblich eine hohe Beteiligung und ein repräsentatives Ergebnis gewährleisten, bewirken aber das Gegenteil.
Quoren werden damit gerechtfertigt, dass sie mobilisierend wirken und so eine hohe Beteiligung und ein repräsentatives Ergebnis gewährleisten. Sie bewirken aber das genaue Gegenteil: Während die eine Seite das Quorum für unerreichbar hält und dadurch entmutigt wird, an der Abstimmung teilzunehmen, spekuliert die andere Seite sogar darauf, dass das Quorum nicht erreicht wird, und hält es daher nicht für notwendig, an der Abstimmung teilzunehmen. Dieser Effekt ist um so stärker, je höher das Quorum ist. Bei einem Beteiligungsquorums wäre es für die Seite der Gegner sogar kontraproduktiv, an der Abstimmung teilzunehmen, weil das Beteiligungsquorum eine bestimmte Gesamtbeteiligung vorschreibt, unabhängig davon, ob für oder gegen den Vorschlag gestimmt wird.
Die Gegenseite wird also geradezu gezwungen, die Abstimmung zu boykottieren, damit die erforderliche Gesamtbeteiligung und somit das Quorum nicht erreicht wird. Ein repräsentatives Ergebnis kann so nicht zustandekommen – aber gerade das wird von einer demokratischen Abstimmung erwartet.
Am häufigsten zu hören ist allerdings das Argument, dass durch ein Zustimmungsquorum die erforderliche Mehrheit unter den abgegebenen Stimmen ansteige, wenn die Beteiligung sinke.
Betrage das Quorum beispielsweise 30 Prozent, und 50 Prozent der Stimmberechtigten würden sich an der Abstimmung beteiligen, wäre eine Mehrheit von 60 Prozent erforderlich;
würde die Abstimmungsbeteiligung nur bei 40 Prozent liegen, läge der für das Quorum erforderliche Stimmenanteil sogar bei 75 Prozent usw. Dieses Argument habe ich immer für unsinnig gehalten, denn wie hoch die Mehrheit ist, ist für den Ausgang der Abstimmung nicht von Belang. Das entscheidende ist, dass es sich um die Mehrheit handelt und dass das Quorum erreicht wird, und diese Hürden liegen im Vorhinein fest.
Sachlich betrachtet gibt es jedoch nichts, was für ein Quorum in Volksentscheiden spricht.
Autor: Nico Nissen (Journalist)